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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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gelöscht.«
    Cyrille verzog das Gesicht.
    »Wir sollten jetzt besser gehen, falls die zurückkommen und uns hier finden …«
    »Warte …«
    Er drückte erneut auf einige Tasten.
    »Der Film wurde gelöscht, aber die Datei hat noch einen Namen, schau her.«
    Cyrille beugte sich über das Handy.
    »9°31’58.8"N 99°56’16.8"O«.
    »Hast du auf deinem iPhone GPS?«, fragte Julien.
    Cyrille nickte.
    »Dann ist es ein Kinderspiel.«
    Er ging in Cyrilles Telefonprogramme, stellte eine Verbindung zum Internet her und gab die Daten ein. Die Sanduhr erschien. Und plötzlich stand dort zu lesen:
    »Ko Nang Yuen!«
    Cyrille beugte sich über seine Schulter, um das Display besser zu sehen.
    »Waren das die GPS-Daten?«
    »Genau.«
    »Und wo liegt Ko Nang Yuan?«
    Julien lud eine Karte von Thailand auf das Display und zeigte mit dem Finger auf eine kleine virtuelle Fahne mitten im Golf.
    »Drei Mini-Inseln, hier zwischen Ko Samui und Ko Tao.«
    Cyrilles Herz schlug schneller.
    »Du hast gute Arbeit geleistet … Ich glaube, das ist eine wichtige Information.«
    Auf Juliens Gesicht deutete sich ein Lächeln an. Sie hatte ihn geduzt, ohne es zu merken.
    Cyrille schrieb in aller Eile eine neue SMS an Sanouk und Anuwat, dann steckte sie das Handy in ihre Hosentasche.
    *
    Wenige Minuten später schlossen Cyrille und Julien die Tür des Heims und machten sich auf den Rückweg. Schweigend und in Gedanken versunken liefen sie auf der sandigen Straße. Das angstlösende Medikament beeinträchtigte Cyrilles Denkfähigkeit. In ihrem Kopf kreisten ständig die Gedanken: Was für ein Ungeheuer habe ich geheiratet? Wie konnte er seiner Nichte und Astor die Augen ausstechen? Wenn ich bedenke, dass er versucht hat, uns die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sie warf Julien einen Seitenblick zu, und wieder sah sie in ihm nicht den Patienten, sondern den Mann. Die Sonne erwärmte allmählich die Luft, die vom Kautschukgeruch erfüllt wurde. Das Knirschen von Reifen ließ beide aufblicken. Zwei Motorroller kamen auf sie zu. Sie drehten sich um und sahen drei weitere in ihre Richtung rasen. Ohne nachzudenken, ergriff Julien Cyrilles Hand und zog sie in die Kautschukplantage. Schüsse fielen. Völlig benommen strauchelte die junge Frau. Julien schrie, sie solle aufstehen. Cyrilles Gehirn registrierte den Befehl, und das Nervensystem gab ihn an ihre Beine weiter. Sie rannten nebeneinander her. Dann ließ Julien ihre Hand los, und sie liefen, jeder für sich, weiter zwischen den Bäumen hindurch. Cyrille fixierte Juliens Schultern und versuchte, wie beim Marathonlauf zu atmen, um nicht zu weit zurückzubleiben, aber sie war außerstande, das Tempo durchzuhalten. Ihre Lunge brannte wie Feuer, ihre Kehle war ausgedörrt. Noch dazu bekam sie Seitenstechen. Sie hörte Geschrei hinter sich und rannte weiter. Plötzlich schoss ein heftiger Schmerz durch ihren Oberschenkel. Ein Krampf? Sie musste das Tempo verlangsamen und begann schließlich zu humpeln. Nach einer Minute war ihr Bein wie gelähmt, sie zog es hinter sich her.
    »Julien!«, rief sie.
    Ihre Stimme versagte.
    Aber auch der junge Mann schien plötzlich Probleme zu haben. Er taumelte, brach vor ihr zusammen, einen Pfeil im Hals. Cyrille griff an ihren Oberschenkel. Ein weiterer Pfeil traf sie an der Schulter. Sie stieß einen schwachen Schrei aus, und der Boden unter ihr schien zu schwanken. Sie sank auf die Knie und verlor das Bewusstsein. Ihre Verfolger steckten ihre Blasrohre ein und luden die beiden jungen Leute mühelos hinten auf einen Pick-up, der am Rand der Straße parkte, und fuhren in Richtung Meer.

Paris
    Tony presste Ninos Blouson an sich. Zusammengesunken saß er auf einem Plastikstuhl im Warteraum der chirurgischen Abteilung des Hôpital Cochin. Der Lederblouson war schwer, fühlte sich lebendig an und verströmte einen intensiven Geruch. Tony schloss die Augen zu einem schweigenden Gebet. Ninos Leben konnte hier enden, einfach so, durch die Schuld eines Verkehrsrowdys. Er tadelte sich selbst. Hör auf, dir ständig das Schlimmste vorzustellen, es sind nur ein paar Frakturen. Das wird wieder, das hat auch der Chirurg gesagt. Tony zwang sich, positiv zu denken, und rief sich noch einmal den Ablauf des Unfalls in Erinnerung. Er war mit seinem Motorroller gemächlich die Straße entlanggefahren. Nino sollte wie gewöhnlich auf dem Bürgersteig vor dem Haus, hinter der Baumgruppe, warten. Plötzlich hatte er gehört, wie irgendwo vor ihm eine schwere Maschine anfuhr und

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