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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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keine Einbildung. Sie erinnerte sich, war sich ganz sicher. Julien wandte den Blick nicht von dem Blut ab.
    »Er hat meine Mutter umgebracht.«
    »Ja, ich weiß, dass das geschehen ist. Aber wenn Sie sich oder jemand anderem etwas antun, verletzen Sie damit auch Ihre Mutter, die Sie geliebt hat. Damit muss Schluss sein. Geben Sie mir das.«
    Julien lockerte seinen Griff und legte ein Küchenmesser in Cyrilles Hand.
    »Sie bekommen jetzt Ihre Tabletten, dann wird es Ihnen besser gehen.«
    Plötzlich hatte sie eine andere Vision. Julien lag, an Schläuche angeschlossen, im Koma auf einem Klinikbett. Und sie sah sich selbst dort stehen, machtlos und wütend und vernichtet von dem Wissen, den jungen Mann zu einem leblosen Körper gemacht zu haben, der beatmet werden musste.
    Diese Erkenntnis war brutal.
    Ihre Erinnerung kehrte zurück.
    »Wir werden die Polizei benachrichtigen und nach Bangkok zurückfahren. Es war verrückt, Sie hierher mitzunehmen. Das hätte ich nicht tun dürfen. Mir war nicht klar …«
    Dass Sie so zerbrechlich sind, hätte sie gerne hinzugefügt. Aber sie beherrschte sich.
    »Julien, wenn Sie wieder das Bedürfnis empfinden, sich wehzutun oder jemand anderen zu verletzen und einen scharfen Gegenstand in die Hände bekommen, zwingen Sie sich, die Erde, einen Baum, einen Fels oder sonst etwas damit zu traktieren, aber nicht sich selbst oder ein anderes Lebewesen.«
    Ein Vibrieren in ihrer Tasche. Sie holte ihr iPhone heraus, das den Namen »Marie-Jeanne« anzeigte. Reflexartig verbarg Cyrille das Display und sprang auf.
    »Warten Sie hier, ich bin gleich wieder da.«
    Sie entfernte sich rasch von Julien Daumas und drückte auf »Annehmen«.
    »Marie-Jeanne?«
    »Ich habe deine Nachricht bekommen, Cyrille. Sie hat mich sehr gefreut. Ich habe versucht, dich zurückzurufen, dich aber nicht erreicht.«
    Cyrilles Nichte sprach wie ein Kind.
    »Ich weiß, es tut mir leid, Liebes. Aber ich bin in einem Gebiet, wo ich nicht überall ein Netz habe. Es ist eine komplizierte Geschichte, ich erzähle sie dir ein andermal. Wie fühlst du dich?«
    »Nicht sehr gut.«
    »Warum hast du mir nichts gesagt, als ich dich vorgestern am Telefon hatte?«
    »Ich wollte keine Last für dich sein. Ich wollte allein klarkommen.«
    Marie-Jeanne war tatsächlich in einem miserablen Zustand. Sie sprach schleppend, und jedes Wort schien sie große Anstrengung zu kosten.
    »Cyrille, die Polizeiinspektorin, die mit der Untersuchung betraut ist, hat gerade mein Zimmer verlassen …«
    »Und was hat sie gesagt?«
    »Ich hatte sie, wie du es mir aufgetragen hattest, gebeten, Kommissar Maistre zu benachrichtigen.«
    Cyrille nickte. Sie lief im Korridor auf und ab.
    »Das hast du gut gemacht, und?«
    Marie-Jeanne holte Luft.
    »Das Problem ist, Cyrille, sie hat mir mitgeteilt, dass Maistre überhaupt nichts von Ermittlungen bei euch wusste.«
    Cyrille blieb abrupt stehen. Marie-Jeanne sprach weiter:
    »Das Problem ist, Cyrille, Benoît hat nie mit ihm Kontakt aufgenommen, und die Polizei ist nie bei euch gewesen.«
    Cyrille fühlte, wie ihre Kräfte sie verließen.
    »Aber … sie haben den Teppichboden herausgeschnitten, die Schere und mein blutiges Nachthemd gefunden …«
    Marie-Jeanne unterdrückte ein Schluchzen.
    »Cyrille, es tut mir so leid, aber … Benoît … Benoît hat alles erfunden.«
    Cyrille ließ sich gegen die Wand des Korridors sinken.
    »Das ist nicht möglich …«
    »Das ist noch nicht alles. Die Inspektorin hat mir auch gesagt, dass Benoît gestern Abend von der Polizei vernommen worden ist, weil man seine Fingerabdrücke in meinem Zimmer gefunden hat. Man hat ihn aber schnell wieder gehen lassen.«
    Benommen versuchte Cyrille, ein Fünkchen Logik in allem, was sie gehört hatte, zu entdecken.
    »Es ist normal, dass seine Fingerabdrücke in deinem Zimmer sind, Marie-Jeanne. Er ist doch sicher hin und wieder bei dir gewesen.«
    »Nein …«
    Cyrille fühlte Übelkeit in sich aufsteigen.
    »Was heißt, nein?«
    »Im Gegensatz zu dir hat Benoît seit etwa einem Jahr mein Zimmer nicht mehr betreten. Mit Ausnahme des Abends, an dem ihr beide aufgekreuzt seid. Aber da hat er nur auf dem Bett gesessen und nichts angerührt.«
    Cyrille begann zu zittern.
    »Und wo hat man seine Fingerabdrücke gefunden?«
    »Überall! Wirklich überall! In der Dusche, in der Küche …«
    Völlig verwirrt schlug Cyrille die Hand vors Gesicht.
    »Hast du das der Inspektorin gesagt?«
    »Ja.«
    »Wird sie ihn

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