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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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wild. Die Sonntage verbrachte er damit, das Mittelmeer zu betrachten und in den kleinen Felsbuchten, in denen er jeden Winkel kannte, umherzustreifen. Die Nase im Wind, setzte er sich an den Strand und führte Zwiegespräche mit dem Himmel. Jetzt legte er eine Pause ein und beobachtete die Blättchen der reglosen Kautschukbäume. Er hatte den Eindruck, es wären Geister, die sich ihm lachend zuwandten. Und es stimmte. Jemand lachte. Zwei junge, ebenfalls in Blau gekleidete Mädchen stampften die klebrige Masse mit den Füßen in eine Art tiefe Schale und bedachten den Fremden mit scheuen Blicken.
    Julien sah sich suchend nach Cyrille um; sie stand auf dem Pfad und wartete auf ihn. Sie wechselten ohne Feindseligkeit einen langen Blick.
    Als er bei ihr angekommen war, machten sie sich auf den Weg und liefen schweigend durch die Plantage. Er merkte, dass sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Auch er musterte sie, ihr Profil, ihr rotbraunes Haar. Warum sie wohl das Blond geopfert hatte? Nach etwa fünfhundert Metern gelangten sie an eine Mauer. Dahinter entdeckten sie zwei massive Gebäude in L-Form. Vielleicht ehemalige Arbeiterhäuser. Im Hof sahen sie Fahrräder, eine kleine Kunststoffrutsche, Fußballtore, einen Mast mit der weißen Fahne und dem Logo der VGCD. Weit und breit jedoch keine Menschenseele. Cyrille und Julien gingen weiter.
    »Ich werde dich als einen Kollegen vorstellen, das ist einfacher«, erklärte sie.
    Die Tüte voller Leckereien in der Hand, klopfte sie an die Eingangstür. Keine Reaktion. Es war nicht abgeschlossen.
    » Hello! Is there anybody inside?«, rief sie.
    Sie traten ein. Totenstille.
    Das Chaos im Inneren des Hauses war unbeschreiblich.
    Eine Schule, über die ein Wirbelsturm hinweggefegt ist. Alles war verwüstet.
    Niemand war mehr da.
    Stickige Luft schlug ihnen entgegen.
    Wie erstarrt blieben Cyrille und Julien Daumas am Eingang stehen, unfähig, etwas zu sagen. Je ein Korridor führte nach links und rechts. Vor ihnen lag ein Spielzimmer, zumindest das, was davon noch übrig war. Zwei umgeworfene Regale, die alten Bücher lagen am Boden verstreut. Umgestürzte und zerschlagene Tische und Stühle. Auf die Wände hatte jemand mit roter Farbe Graffiti in Thai gesprüht. Cyrille machte ein paar Schritte und bückte sich, um eine Kindersandale aufzuheben. Sie richtete sich wieder auf und blieb, den kleinen Schuh in der Hand, reglos stehen.
    »Was ist hier passiert?«, flüsterte sie schließlich. »Ich habe doch gestern noch mit ihnen telefoniert. Da war alles in Ordnung.«
    Julien betrat den rechten Korridor und öffnete die erste Tür. Ein leeres Zimmer. Er öffnete eine weitere.
    Cyrille zwang sich, zu reagieren. Sie holte ihr iPhone heraus und schrieb eine SMS an Sanouk Arom und Anuwat Boonkong. Ihre Finger zitterten so sehr, dass es ihr erst nach mehreren Versuchen gelang.
    »Sind in Surat Thani angekommen. Das Heim ist völlig zerstört. Es ist niemand mehr da. Was sollen wir tun? Benachrichtigen Sie die Polizei!«
    Sie drückte auf »Senden« und atmete schwer. Sie setzte ihre Inspektion des Raumes fort. Juliens Aufschrei ließ sie zusammenzucken.
    Für ein paar Sekunden blieb sie wie gelähmt stehen, dann erteilte ihr Gehirn den Beinen den Befehl, sich in Bewegung zu setzen. Sie lief nach rechts und rief seinen Namen. Das erste Zimmer war eine kleine Küche, sie war leer. Er saß im zweiten Zimmer auf einem Eisenbett, seine Turnschuhe waren voller Blutflecken. Als er die Augen zu ihr hob, waren sie schwarz vor Wut.
    »Warum?«, schrie er.
    »Warum was, Julien?«
    »Sie haben sich an unschuldigen Kindern vergriffen! Warum?«
    Blut tropfte aus seiner Handfläche.
    »Bewegen Sie sich nicht.«
    Cyrille wühlte in ihrer Tasche und holte ein Antiseptikum und Verbandszeug heraus. Sie versorgte seine Wunde und redete so sanft wie möglich auf ihn ein.
    »Sie müssen sich nicht verletzen. Es ist nicht Ihre Schuld.«
    »Doch! Wir hätten früher kommen müssen. Dann hätten wir sie retten können.«
    »Sie sind bestimmt alle in Sicherheit, sie konnten fliehen.«
    »Ich habe wieder nichts verhindern können! Nichts!«
    »Sie können gegen eine Übermacht wie die thailändische Unterwelt nichts ausrichten. Es ist Aufgabe der Polizei, sich darum zu kümmern.«
    Er klammerte sich an sie. Cyrille streckte eine Hand aus.
    »Geben Sie mir bitte, was Sie da verstecken.«
    Plötzlich war sie sicher, diese Szene bereits mit ihm erlebt zu haben. Diese Gewissheit brachte sie aus der Fassung. Es war

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