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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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sollte. In den letzten zwei Tagen war es ihm nicht gelungen, mit ihr darüber zu reden und sich zu entschuldigen. Die Rosen, die er ihr hatte schicken lassen, waren nicht einmal ausgewickelt. Als er um zwei Uhr nachts, die Brieftasche voller beim Poker gewonnener Scheinchen, nach Hause gekommen war, hatte er sie selbst in eine Vase stellen müssen. Er hatte eine glückliche Hand gehabt und war gut gelaunt gewesen, genau in der richtigen Verfassung, sie um Verzeihung zu bitten. Er küsste Cyrille auf die Wange und schloss leise die Schlafzimmertür hinter sich. Er würde alle Hindernisse eines nach dem anderen aus dem Weg räumen. Seine Frau war ihm vielleicht noch böse, aber nicht mehr lange.
    *
    Cyrille schlief, bis um elf Uhr der Wecker klingelte. Sie hatte sich ausgerechnet, dass sie zwei Stunden brauchen würde, um für das Mittagessen um dreizehn Uhr fit und konzentriert zu sein. Sie hatte Mühe, richtig wach zu werden, und so saß sie, den Kopf auf die Hände gestützt, in ihrem Bett und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie war der Stand der Dinge? Der Nachtdienst war gut verlaufen, aber ansonsten … Heute Mittag hatte sie ein Treffen, das für die Finanzierung des Zentrums von größter Bedeutung war. Und sie hatte gerade entdeckt, dass eine ganze Phase ihres Lebens aus ihrem Gedächtnis gelöscht war.
    Sie erhob sich und lief im Bademantel durch die Wohnung. Alles war still. Die Ruhe und Einsamkeit, die sie normalerweise so genoss, machten ihr heute Morgen Angst. Sie trat ins Wohnzimmer. Wo kommen die Rosen her? Sie hatte sie zuvor nicht einmal bemerkt. Sie standen in der großen Kristallvase auf dem Tischchen am Durchgang zum Esszimmer. Sie strich über das Ledersofa, rückte den Rahmen zurecht, der ein Foto von Benoît und ihr vor dem Königstempel zeigte, und ging in ihr Arbeitszimmer. Dort öffnete sie den Schrank ihrer Großmutter und zog ein altes Fotoalbum aus dem untersten Fach. Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden und schlug es auf.
    Plötzlich schreckte sie zusammen. War da nicht ein Geräusch? Nein, das war der Wind, der an den Fensterläden rüttelte. Sie blätterte die Seiten um und deutete mit dem Finger auf die Bilder: Maman, Papa, Tante Françoise, Onkel Marcel … der Hund Volga … die Cousins und Cousinen. Louis, Micheline, Hélène, Ariette … Mathilde und André . Die Schulzeit. Sie betrachtete aufmerksam die Klassenfotos. Natürlich erinnerte sie sich nicht an alle Namen, aber die Gesichter waren ihr vertraut. Aufnahmen vom Gymnasium, vom Internat in Amiens, und nicht eine Person war ihr fremd. Sie lauschte erneut. Waren das Schritte auf dem Parkett? Du hast Halluzinationen! Sie klappte das Album zu und legte es lautlos an seinen Platz zurück. Ihre Hand glitt über das Musikinstrument, ehe sie danach griff und es an sich presste. Sie erhob sich, hielt kurz inne und begann zu spielen. Ihre Finger, die ein Eigenleben zu haben schienen, glitten über die Tasten und fanden die Töne des Tango von Goran Bregovic. Die nostalgische Melodie brannte in ihrem Herzen und wärmte ihren Körper. Sie wiegte und drehte sich leicht im Rhythmus. Das Lied erzählte die Geschichte zweier Liebender, die zusammen waren, einander verließen, die litten und einander schließlich vergaßen.
    *
    Die fünf Radrennfahrer rasten über die Piste des Stadions. Für den Endspurt hatten sie den höchsten Gang eingelegt. In petrolblauem Bikeroutfit, mit Helm und Brille, ging Tony zum Angriff über und erreichte das Hinterrad des Anführers. Die Zähne zusammengebissen, den Kopf tief über den Lenker gebeugt, setzte er zum Überholen an. Nino nahm auf dem letzten Rang des leeren Stadions Platz und sah dem Team während der drei letzten Runden zu. Wie jedes Mal war er begeistert von der kräftigen Muskulatur der Amateurathleten. Tony war fünfunddreißig Jahre alt, sein Körper war durchtrainiert und für den Wettkampf vorbereitet. Die Olympischen Spiele waren zwar inzwischen ein alter Jugendtraum, an den er bisweilen voller Wehmut zurückdachte, doch er wollte den Radsport noch nicht aufgeben. Er kämpfte verbissen um den Sieg. Er hatte die Fähigkeit, alles zu geben, um sein Ziel zu erreichen, und den Rest der Welt zu vergessen: was die anderen von ihm denken mochten, die langfristigen Folgen, die Gefühle – alles, was ansonsten zu oft sein Verhalten beeinflusste.
    Nach mehreren Runden in langsamerem Tempo hielten die Männer schließlich an, klopften einander auf die Schulter und

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