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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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mein Gedächtnis und diesen Patienten wiederfinden, ihn behandeln und in die Psychiatrie einweisen.

19
     
    Als Julien in seine Wohnung in der Avenue Gambetta zurückkehrte, war er nicht darauf gefasst, sich prügeln zu müssen. Er gab den Türcode ein, grüßte die Concierge und stieg zu seinem Adlernest hinauf. Vor der Tür im sechsten Stock angekommen, sah er, dass sie einen Spaltbreit offen stand. Vorsichtig drückte er dagegen und rief seine Katzen. Mehrere huschten herbei, um sich an seinen Beinen zu reiben. Er zählte sie, alle waren da. Das Fenster war geöffnet, dabei war er sicher, es geschlossen zu haben. Als er es zumachen wollte, spürte er plötzlich, dass er nicht allein in der Wohnung war. Er hatte keine Zeit mehr, sich umzudrehen, denn schon packten ihn zwei enorme Hände an den Schultern und rissen ihn nach hinten. Julien verlor das Gleichgewicht und stürzte. Ein Fußtritt in die Rippen, er krümmte sich vor Schmerzen. Irgendetwas splitterte in seinem Brustkorb. Wenige Zentimeter neben seinem Gesicht sah er einen riesigen Schuh. Er wich seitlich aus, um dem Tritt zu entgehen, und der Fuß verfehlte sein Ziel. Julien sprang auf und stand einem dunkelhäutigen Hünen gegenüber, der an einen Sumoringer erinnerte: Kein Hals, dafür aber Unterarme so dick wie Schinken und gewaltige Pranken mit gespreizten Fingern und langen Nägeln. Sein Gesicht war so platt, als wäre er vor eine Wand gelaufen. Er starrte Julien knurrend an. Die beiden Männer standen da und maßen sich mit Blicken. Aus den Augenwinkeln bemerkte Julien, dass sich eine seiner Katzen unter den niedrigen Sessel geflüchtet hatte.
    Der Sumoringer spannte sämtliche Muskeln an. Julien warf den Sessel um, packte die Katze am Nackenfell und warf sie in seine Richtung. Kläglich miauend flog das Tier durch die Luft und landete auf dem Kopf des Kolosses. In seiner Panik krallte es sich fest und zerkratzte die Haut des Ringers, der sich schreiend schüttelte, um sich von dem kleinen Monster zu befreien. Die verschreckte Katze versuchte verzweifelt, Halt zu finden, und schlug ihre spitzen Eckzähne in das Kinn des Ringers – das Einzige, was in seinem Gesicht vorstand. Der Koloss heulte vor Schmerzen auf. Julien griff nach einem Stuhl, schwang ihn durch die Luft und drosch damit auf den Sumoringer ein. Die Katze ließ von ihrem Opfer ab, und der Mann sank, im Gesicht heftig blutend, in die Knie. Julien glitt hinter ihn und drückte ihn mit seinem ganzen Gewicht zu Boden. Er riss ein Seidentuch vom Sofa und fesselte dem Riesen, der wieder zu sich kam, damit die Hände im Rücken. Julien zwang ihn, sich aufzurappeln und in einen Sessel zu setzen. Drei parallel verlaufende Kratzspuren zogen sich über die eine Gesichtshälfte, die Unterlippe war aufgeplatzt und das linke Auge blutete stark. Mit einer Verlängerungsschnur band Julien ihn am Sessel fest. Dann griff er nach einem Hocker und nahm vor ihm Platz. Er versetzte ihm einen leichten Schlag auf die Nase.
    »Wer bist du, du Idiot?«
    Der Sumo öffnete mühsam das rechte Auge.
    »Verpiss dich, du …«
    Julien bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick.
    »Schnauze!«
    Er ging in sein Zimmer und kehrte mit einem Chirurgenbesteck zurück. Genüsslich packte er die Instrumente vor seinem Angreifer aus.
    »Du hast schöne Augen, das gilt zumindest für das noch intakte.«
    Julien ließ die Latexhandschuhe schnalzen und zog ihm das unversehrte Lid hoch. Der Ringer drückte sich tiefer in den Sessel, um diesem Wahnsinnigen zu entkommen. Sein Auftraggeber hatte ihm nicht gesagt, dass er es mit einem Verrückten zu tun haben würde.
    »Rühr mich nicht an, du schwule Sau!«
    Julien runzelte die Stirn.
    »Wer schickt dich?«
    »Ich habe dir nichts zu sagen.«
    »Ach ja? Na, dann …«
    Lächelnd griff Julien nach einem Skalpell.
    »Sobald die Nervenenden durchtrennt sind, löst sich der Augapfel ganz von selbst.«
    Der Koloss riss das gesunde Auge auf.
    »Du bist ja wahnsinnig!«
    Julien beugte sich über ihn, hielt das Gesicht fest und setzte das Instrument am rechten Augenwinkel an.
    »Du sollst mir nur sagen, wer dich geschickt hat.«
    Er ritzte die Haut ein, und ein Blutstropfen quoll hervor. Der Sumoringer war wie gelähmt und rührte sich nicht. Wenn er sich zur Wehr setzte, würde das Skalpell sein Auge verletzen. Unmöglich, dieser Irre würde das nicht wirklich tun! Seine Brust hob sich, das Atmen fiel ihm immer schwerer. Plötzlich musste er niesen. Julien hob das Skalpell und musterte

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