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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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ein besseres Videosystem installieren wollte.
    Sie schüttelte die Thermoskanne, ein Rest Kaffee war noch da. Sie tippte auf der Tastatur des Computers und loggte sich ins Netz ein. Bevor sie Professor Aroms Zugangscode für die Videoübermittlung eingab, frisierte sie sich. Mit einer Klammer, die sie in ihrer Jackentasche gefunden hatte, befestigte sie ihr Haar zu einem Knoten, glättete den Pony mit der flachen Hand und setzte ihre Brille auf. Sie nahm einige Schlucke Kaffee und stellte die Verbindung zu Thailand her. Nachdem sie ihre Anfangssätze auf Englisch in Gedanken wiederholt hatte, klickte sie auf »Anrufen«.
    Sie schickte dem Professor per Instant Messaging die Bitte um einen Video-Chat. Zwei Großbuchstaben erschienen, gesendet von Sanouk Arom: »OK«, und auf der rechten Bildschirmseite öffnete sich ein kleines Fenster. Cyrille, die vor der Kamera ihres Computers saß, lächelte unbehaglich. Mit zwei Klicks verschob sie den Video-Bildschirm in der Größe einer Zigarettenschachtel auf den Wandmonitor. Nun erschien Sanouk Arom im Großformat vor ihr.
    Sie musste sich beherrschen, um vor Erstaunen nicht die Augenbrauen hochzuziehen. Wie alt er aussieht! Cyrille hatte einen Greis vor sich. Seit dem Kongress im letzten Jahr, bei dem der Professor eine bemerkenswerte Präsentation seines letzten klinischen Falls von traumatischer Amnesie vorgetragen hatte, schien er um zehn Jahre gealtert zu sein. Er gab ein trauriges Bild ab: langes weißes Haar, die Stirn von einer tiefen Querfalte durchzogen und zwei tiefe Furchen rechts und links des Mundes. Am auffallendsten waren jedoch sein linkes, fast geschlossenes Auge und sein grimassenähnliches Lächeln.
    »Liebe Frau Doktor Blake, ich freue mich sehr, mit Ihnen zu sprechen. Da mein Gehör stark nachgelassen hat, ziehe ich es vor, meine Gesprächspartner zu sehen, so kann ich von ihren Lippen ablesen. Wie geht es Ihnen?«
    »Vielen Dank, Herr Professor, dass Sie so rasch zu einem Gespräch bereit waren. Es geht mir gut, und wie ist Ihr Befinden seit dem letzten Jahr?«
    Der Professor schloss nun auch das Lid seines gesunden Auges zur Hälfte.
    »Meine klinischen Forschungen kommen gut voran. Ich bin einer der Ehrengäste des diesjährigen Kongresses, daher habe ich viel zu tun.«
    Cyrille fühlte sich plötzlich unbehaglich und beschloss, gleich zur Sache zu kommen und sich kurz zu fassen.
    »Ich werde nächste Woche ebenfalls zu dem Kongress kommen. Wie man bei uns sagt, Professor, will ich nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich habe ein Gedächtnisproblem und brauche Ihren Sachverstand.«
    Professor Arom hatte sein Auge wieder geöffnet, um von Cyrilles Lippen abzulesen. Er konnte ein gewisses Erstaunen nicht verbergen, sagte jedoch nichts.
    »Ich leide unter einer lakunären Amnesie«, fuhr Cyrille fort. »Ich habe einige Ereignisse vergessen, die vor zehn Jahren stattgefunden haben.«
    Arom rührte sich nicht, nur seine gesunde Pupille weitete sich. Cyrille berichtete ihm, sie habe bereits eine Computertomografie machen lassen und einige – zugegeben – empirische Versuche unternommen, ihr Gedächtnis wiederzubeleben. Aroms Miene blieb undurchdringlich, aber ihm entging nicht das Geringste von Cyrilles Bericht.
    »Haben Sie schon mit ähnlichen Fällen zu tun gehabt?«, fragte Cyrille abschließend.
    Arom bewegte sich. Er ergriff das Wort. Bild und Ton waren leicht versetzt.
    »Ja, tatsächlich.«
    »Bei Veteranen?«
    »Zum Teil.«
    Cyrille presste ihre Handflächen aneinander.
    »Ich habe gelesen, dass Sie interessante Erfolge erzielt haben?«
    »Ja, ich habe einige Fälle publiziert. Dabei ging es jedoch um Amnesie hinsichtlich der Identität.«
    Cyrille biss sich innen auf die Wangen. Sie fühlte Verzweiflung in sich hochsteigen.
    »Und bei partieller Amnesie wie in meinem Fall? Ich habe auch gelesen, dass Sie mit der Volunteer Group of Child Development zusammenarbeiten, um amnestischen Kindern zu helfen, sich an ihre Vergangenheit zu erinnern …«
    Arom schwieg einen langen Augenblick. Er schien intensiv nachzudenken. Schließlich entschloss er sich, weiterzusprechen.
    »Ja das ist richtig, ich arbeite seit zwei Jahren mit der VGCD, die sich um Straßenkinder kümmert. Es gibt darunter einige sehr spezielle Fälle, die unter lakunärer Amnesie leiden. Ich behandle sie im Krankenhaus.«
    Cyrille hob die Augenbrauen. Der Professor fuhr fort:
    »Die Ursache dieser Amnesien ist wahrscheinlich die Einnahme harter Drogen oder aber

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