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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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unterdrücken, und trug das Tablett in die Küche. Sie musste sich auf der Spüle abstützen, weil ihr plötzlich schwindelig war. Jetzt ist es passiert. Wenn sie nichts Besseres finden, werden sich morgen alle Journalisten auf das Thema stürzen, und dann bin ich geliefert. Sie werden Daumas’ Leben unter die Lupe nehmen und bis zu seinem Arzt, das heißt, bis zu mir, zurückverfolgen. Seine Einweisung nach Sainte-Félicité, und wieder stoßen sie auf mich. Wenn Anklage erhoben wird, werde ich aussagen müssen. Eine wunderbare Werbung für das Zentrum … Das wäre das Ende. »Cyrille Blake, unfähig, ihn zu heilen, außerstande, auszusagen, da sie seine Anamnese vergessen hat, Cyrille Blake, in deren Klinik Psychopathen ein und aus gehen.« Alle Patienten werden das Zentrum schlagartig verlassen.
    Benoît hustete im Wohnzimmer.
    Und Benoît … der Nobelpreisträger! »Verheiratet mit einer Ärztin, die unter Amnesie leidet, die Fehler über Fehler gemacht hat und gefährliche Geisteskranke frei herumlaufen lässt.«
    Ich werde mit ihm über die Ursache meines Problems reden müssen. Die Polizei wird aufkreuzen und mich verhören. Alle werden erfahren, dass ich nicht mehr in der Lage bin, meiner Position gerecht zu werden, weil ich in meiner Jugend …
    Cyrille richtete sich auf. Die Angst, alles zu verlieren, mittellos dazustehen und öffentlich gerichtet zu werden, bereitete ihr solche Magenkrämpfe, dass sie sich fast übergeben musste. Sie deckte den restlichen Schinken und Käse mit einer Frischhaltefolie ab und schob beides in den Kühlschrank.
    Sie stellte ihren Teller in die Spülmaschine, leerte das Glas ins Spülbecken und wusch es ab. Dann räumte sie das Tablett weg und säuberte den Tisch. Mit einem Schwamm wischte sie über die Kühlschranktür und die Platten des Induktionsherdes. Sie nahm die Geschirrtücher, faltete sie auseinander und sorgsam wieder zusammen und stapelte sie anschließend fein säuberlich in dem kleinen Regal.
    Ich werde alles unter Kontrolle behalten und eine Lösung finden. Ich muss …
    Sobald sie sich etwas gefasst hatte, kehrte sie ins Wohnzimmer zurück.
    »Ich gehe schlafen, Liebling, ich bin hundemüde.«
    Ohne ihrem Mann Zeit zum Antworten zu lassen, ging sie ins Badezimmer und schloss sich ein. Zwanzig Minuten später lag sie starr vor Entsetzen, das Nachthemd bis obenhin zugeknöpft, die Arme neben dem Körper ausgestreckt, im Bett.
    Sie war dreizehn Jahre alt und im Schlafsaal des Internats. Blonde Zöpfe umrahmten ihr tränenüberströmtes Gesicht. In dem großen Raum belegte sie eines der fünfzehn Betten, von der Badezimmertür aus gesehen das zweite. Würden die Biester der 5B sie heute Nacht in Ruhe lassen? Oder hatten sie wieder einen gemeinen Streich auf Lager? Ein nasser Waschlappen oder Quark auf dem Kopfkissen, das ging ja noch. Aber tote Tiere im Bett … zunächst waren es Fliegen, Küchenschaben und Regenwürmer gewesen, aber dann war die Sache ausgeufert. Und in der vorletzten Nacht war sie aufgeschreckt, weil etwas Nasses, Weiches ihren Hals berührte. Sie hatte geschrien. Eine Maus! Angewidert hatte sie sie weit von sich geschleudert. Sie verabscheute ihre Mitschülerinnen.
    Sechsundzwanzig Jahre später fühlte sich Cyrille weder stärker noch selbstbewusster. Sie begnügte sich damit, die Vergangenheit in eine Schublade zu räumen, in der sie für immer hätte bleiben sollen, und konzentrierte sich auf ihr aktuelles Problem. Cyrille sah zur Decke. Ihre einzige Hoffnung war, Zeit zu gewinnen, um einen Termin bei Professor Arom zu bekommen. Außerdem musste sie so viel wie möglich über die Krankenakte Daumas’ in Erfahrung bringen, um eventuelle Fragen der Polizei beantworten zu können. Doch diese Akte war verschlüsselt.
    Als Benoît ins Bett kam, stellte sie sich schlafend. Durch die Seide ihres Nachthemds hindurch streichelte er ihren Bauch und ihre Brüste, in der Hoffnung, ihr Verlangen zu entfachen. Cyrille drehte sich auf die Seite und wandte ihm den Rücken zu. Sie wusste, dass sie das genaue Gegenteil von dem tat, was sie eigentlich hätte tun sollen, und auch als er ihr Ohrläppchen küsste, rührte sie sich nicht vom Fleck. Er presste seinen Körper gegen den ihren, und sie unterdrückte ein Schluchzen.
    »Was ist los, mein Liebling? Wenn es wegen neulich abends ist, dann schwöre ich dir, nie wieder so aggressiv zu dir zu sein. Ich hatte eine furchtbare Wut auf Tardieu. Ich habe nachgedacht, du hast recht, dieser ganze Kampf ist

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