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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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nassen Schirm zum Abtropfen in den Ständer. Sie drückte dem Großen Mann einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
    »Wie war dein Tag?«, fragte er.
    »Sehr gut«, erklärte sie leichthin. »Und bei dir? Irgendwas Neues aus Stockholm?«
    Benoît lehnte sich auf dem Sofa zurück und setzte zu großen Ausführungen über die Verdienste der Jury des Karolinska-Instituts an. Cyrille hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Sie hatte ihn auf etwas plumpe Art abgelenkt, aber sie wollte auf keinen Fall über sich selbst sprechen. Sie hatte noch nicht den Mut gefunden, Benoît ihre Situation zu erklären. In der Küche öffnete sie den Kühlschrank, schnitt sich eine Scheibe Schinken und etwas Käse ab und legte sie auf ein Stück Vollkornbrot. Sie entkorkte eine Flasche Burgunder und schenkte sich ein großes Glas ein.
    Benoît rief ihr aus dem Wohnzimmer zu:
    »Wenn du Marie-Jeanne siehst, richte ihr aus, dass es mir langsam auf die Nerven geht, wenn sie sich dauernd an unserem Gefrierschrank bedient, ohne zu fragen. Sie hat mein Ben & Jerrys aufgegessen und kein neues gekauft!«
    »Bist du nicht raufgegangen, um es ihr zu sagen?«, fragte Cyrille aus der Küche zurück.
    »Ich habe ihr einen Zettel unter der Tür durchgeschoben. Aber ich möchte gerne, dass du es ihr morgen noch mal sagst.«
    »In Ordnung.«
    »Hat sie einen neuen Freund?«
    Cyrille kam mit ihrem Essenstablett herein und setzte sich neben ihren Mann.
    »Wieso fragst du?«
    »Ich hatte den Eindruck, eine Männerstimme zu hören, doch als ich geklopft habe, hat niemand geantwortet. Ich werde ihre Mutter anrufen.«
    »Warum?«
    »Um mit ihr zu reden. Dieses Mädchen braucht eine starke Hand. Es passt mir nicht, wenn sie über meinem Kopf mit jedem x-Beliebigen schläft.«
    Cyrille verdrehte die Augen. Marie-Jeanne hatte Zuflucht bei ihrem Onkel und ihrer Tante gesucht, um nicht zu ihrer verrückten Mutter zurückkehren zu müssen. Benoîts Schwester gehörte zu jener Sorte Frauen,die unerträglich waren. Eine anpassungsunfähige Ordnungsfanatikerin, die sogar nachts aufstand, um ihre Küche zu putzen, oder die ihre Tochter als »Zigeunerin« beschimpfte, anstatt sie zu erziehen. Cyrille konnte sich nicht vorstellen, wie diese dumme und egozentrische Frau, die nicht in der Lage war, die vielfältigen Fähigkeiten ihrer Tochter zu erfassen, Ordnung in deren Liebesleben hätte bringen sollen. Und was Benoît anging, so war seine Einstellung hoffnungslos altmodisch.
    Um den Ärger im Keim zu ersticken, zog Cyrille es vor, das Thema wieder auf Stockholm zu lenken. Benoît, der glücklich war, in ihr eine ebenbürtige Gesprächspartnerin zu haben, schaltete den Ton des Fernsehers ab und erklärte seine Theorie über die Vormachtstellung der Genetik innerhalb der Wissenschaft und die Vernachlässigung der Forschung in der Physiologie, der Lehre von den Lebensvorgängen. In seinen Augen ein »wahrer Skandal«, »Blindheit«, eine »Sackgasse« … Cyrille kannte seine Argumente, denen sie im Übrigen beipflichtete. Während sie ihm zuhörte, aß sie ihr Brot und warf ab und zu einen Blick auf die Mattscheibe. Der Moderator, der aussah wie Barbies Freund Ken, verkündete mit ernster Miene ein neues Thema. Ein Reporter stand vor einem Pariser Mietshaus. Cyrille hörte plötzlich ihrem Mann nicht mehr zu, sondern starrte wie gebannt auf den Fernseher. Als Benoît es bemerkte, erklärte er:
    »Ah, darüber haben sie schon berichtet. Man hat eine Wohnung voller Katzen mit ausgestochenen Augen gefunden. Anscheinend ist der Täter ein Voodoo-Anhänger.«
    Cyrille griff nach der Fernbedienung und stellte den Ton lauter. Es wurde nur das Treppenhaus von Julien Daumas’ Gebäude gezeigt, die Journalisten hatten offenbar keine Genehmigung bekommen, im Inneren zu filmen.
    »Der Mieter dieser Wohnung, dessen Namen die Polizei nicht bekanntgeben will, ist seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen worden. Er soll einen Mann, der anonym bleiben möchte, angegriffen und ihm ein Auge ausgestochen haben.«
    Cyrille spürte, wie ihr ein eiskalter Schauder über den Rücken lief. Sie erstarrte. Eine Dame war zu sehen, der Untertitel stellte sie als Sprecherin des Tierschutzvereins vor. »Wir werden Anzeige wegen Tierquälerei erstatten«, versicherte sie. Mit dieser Aussage war der Bericht, der kaum eine Minute gedauert hatte, abgeschlossen. Der Moderator kam auf einen Skandal in der Redaktion des Guide Michelin zu sprechen.
    Cyrille Blake erhob sich, versuchte, das Zittern ihrer Hände zu

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