Begraben
bereit ist, sie zu unterstützen und die Kinder und Jugendlichen neurologisch zu behandeln.
Cyrille war beeindruckt. Und noch dazu ist er ein hilfsbereiter Mensch … Nun musste sie nur noch ein Hindernis überwinden und tatsächlich mit ihm in Kontakt treten. Sie konnte ihm eine E-Mail schicken, wusste aber, dass das quälende Warten auf seine Antwort nicht das Richtige für sie war. Cyrille beschloss, ihre Nerven zu schonen, und griff zum Telefon.
Mit einem Mal war sie wieder zehn Jahre alt und fürchtete wie früher, zu stottern. Einen Kollegen anzurufen, um mit ihm über einen Patienten zu diskutieren, war gängige Praxis. Seinen eigenen Fall darzulegen, das war etwas vollkommen anderes. Für sie der absolute Horror. Cyrille zögerte und zweifelte an ihrem Entschluss. Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, wählte sie schließlich die Nummer. Es klingelte am anderen Ende der Leitung. Eine weibliche Stimme meldete sich als Kim irgendwer, Sekretärin. Nein, der Professor sei nicht erreichbar, er habe gerade Sprechstunde. Cyrille stellte sich vor und nannte ihr Anliegen, wobei sie deutlich machte, dass es sich um eine Privatangelegenheit handelte. Die Sekretärin legte das Gespräch in die Warteschleife, laute thailändische Musik erklang. Nach einer Weile war Miss Kim wieder am Apparat.
»Der Professor hätte heute Abend Zeit, um mit Ihnen zu sprechen.«
»Wunderbar, vielen Dank. Wann soll ich anrufen?«
»Um zweiundzwanzig Uhr unserer Zeit.«
»Wie groß ist denn der Zeitunterschied zu Paris?«
»Vier Stunden. Bei Ihnen wäre es demnach achtzehn Uhr. Würde Ihnen das passen?«
»Selbstverständlich, das wäre wunderbar.«
»Haben Sie eine Videokonferenz-Anlage?«, wollte die Sekretärin wissen.
Cyrille runzelte die Stirn.
»Ja, im Besprechungsraum.«
»Gut, da der Professor Mühe hat, Telefongespräche akustisch zu verstehen, hält er seine conference calls jetzt auf diese Weise ab. Sind Sie bei Skype angemeldet?«
»Ja.«
»Perfekt. Ich schicke Ihnen seinen Zugangscode, unter dem Sie ihn kontaktieren können.«
»Sehr gut.«
»Also bis heute Abend.«
Cyrille Blake legte erleichtert auf. Sie hatte wirklich Glück: Innerhalb kürzester Zeit war es ihr gelungen, sich mit Fouestang und Arom in Verbindung zu setzen. Wenigstens zog sich die Sache nicht unnötig in die Länge. Bald wüsste sie, was sie von dem großen Spezialisten erwarten konnte. Sie stand auf und holte Madame DeLuza im Wartezimmer ab. Marie-Jeanne war aus der Mittagspause zurück, sie wirkte fröhlich und tippte, vor sich hinsummend, die Briefe an die Sponsoren. Tante und Nichte lächelten einander spontan zu.
*
Als Marie-Jeanne kurz darauf von ihrem Bildschirm aufsah, wäre sie fast vom Stuhl gefallen. Der gut aussehende dunkelhaarige Mann aus der Bar stand direkt vor ihr. Aus der Nähe waren seine schwarzen Augen verwirrend, und an der Selbstsicherheit in seiner Stimme erkannte Marie-Jeanne sofort, dass sie es mit jemandem aus der Branche zu tun hatte und nicht mit einem Patienten. Höflich bat er sie darum, Frau Doktor Blake von seiner Anwesenheit zu informieren. Marie-Jeanne kam seinem Wunsch unverzüglich nach; der Mann besaß eine natürliche Autorität, der man sich nur schwer entziehen konnte.
Nach Marie-Jeannes Anruf war Cyrille bemüht, sich voll und ganz auf Isabella DeLuza zu konzentrieren. Diese Patientin war so wichtig und interessant für sie, weil sie eine der ersten Personen war, die mit einem gemäßigten Trauma in die Meseratrol-Studie aufgenommen worden war. Die medikamentöse Behandlung dauerte nun schon vier Tage an, zusätzlich hatte Madame DeLuza eine kognitive Verhaltenstherapie bei Dan begonnen, diesem gutmütigen, holländischen Bären, der auch die traurigsten Patienten durch seine sympathische und warmherzige Art wieder aufheiterte und stabilisierte. Cyrille hatte Dan ihre Patientin in der Überzeugung anvertraut, dass diese momentan eher seelisch aufgebaut als analysiert werden musste.
»Isabella, Sie haben mir erzählt, dass Sie nicht mehr weinen, das ist gut …«
Die Frau hob den Kopf.
»Nein, ich weine nicht mehr, und wenn ich von meinem Mann spreche, bekomme ich auch keine Bauchschmerzen mehr. Danke, Frau Doktor, ich hätte nicht gedacht, dass eine kleine Pille so etwas bewirken kann.«
»Es ist nicht nur die Pille«, erklärte Cyrille, während sie jedes Wort von Madame DeLuza notierte. »Sie haben zusätzlich mit der wichtigen seelischen Aufarbeitung begonnen.«
»Ja, der
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