Begraben
Misshandlungen. Ich habe ein Therapieschema erarbeitet, das sich zu bewähren beginnt. In Kürze werde ich die Ergebnisse veröffentlichen.«
Cyrilles Herzschlag beschleunigte sich.
»Glauben Sie, Sie könnten mir dieses Schema zukommen lassen?«
Arom räusperte sich.
»Nicht auf diese Entfernung. Solange die Arbeit nicht veröffentlicht wurde, ist alles noch streng vertraulich. Treffen wir uns doch in Bangkok, dann werde ich Ihnen sagen, worum es geht.«
»Tausend Dank. Ich komme am fünfzehnten Oktober nachmittags nach Bangkok, einen Tag vor Kongressbeginn.«
Die bewegliche Mundhälfte des Professors presste sich zusammen.
»Leider kann ich Sie nach dem fünfzehnten nicht empfangen. Ich werde keine freie Minute haben, sobald der Kongress eröffnet ist.«
Cyrille war besorgt.
»Am fünfzehnten gegen Abend?«
Arom willigte ein.
»Lassen Sie sich von meiner Sekretärin einen Termin geben.«
»Perfekt, vielen Dank.«
Eine halbe Stunde später parkte Cyrille, beruhigt und ein Lächeln auf den Lippen, ihr Auto vor dem Haus. Sie spürte, dass sie endlich einer Lösung näherkam. Ihr Fall war weder einmalig noch bei Fachleuten unbekannt. Aroms Patienten, junge, ehemalige Drogensüchtige, litten unter derselben Störung wie sie, und er hatte ihren Zustand verbessern können. Sie hatte gut daran getan, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ihre Intuition hatte sie richtig geleitet. Das allein war bereits beruhigend. Sie kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy und schrieb eine SMS an Nino: »Habe Hilfe gefunden. Bin auf einem guten Weg. Unterzeichnet: die verlorene Spießbürgerin, die Dir für alles dankt, was Du für sie getan hast!« Vielleicht konnte sie den Krankenpfleger mit Humor aufheitern. Als sie die Nachricht abgeschickt hatte, war ihr bedeutend leichter ums Herz.
*
Nino Paci stieg an der Haltestelle Parmentier aus einem Bus der Linie 96 und ging die Rue Saint-Maur entlang bis zur Nr. 33. Das Einfahrtstor stand zum Glück weit offen. Mit dem Finger fuhr er die Liste der Bewohner entlang. Der Name »Marais«, der in der Krankenakte vermerkt gewesen war, war in der dritten Etage links angezeigt. Der Krankenpfleger zwängte sich in den kleinen Aufzug, der nur jeweils eine Person befördern konnte. Neben der Tafel mit den Knöpfen war ein Spiegel angebracht. Ich sehe ganz schön fertig aus, ich brauche Sonne und Urlaub. Er kratzte sich den mit Silberfäden durchzogenen Dreitagebart. Er war noch immer besorgt und nicht mit sich im Reinen. Sein Entschluss, Cyrille Blake und ihre Probleme zum Teufel zu schicken, hatte gerade einmal eine Stunde vorgehalten. Sobald die Tür des Centre Dulac hinter ihm zugeschlagen war, hatte Nino Schuldgefühle bekommen. Die junge Ärztin hatte so verwirrt, kleinlaut und gottverlassen ausgesehen. Eine Viertelstunde später hatte Nino sich vorgenommen, sie anzurufen und sich zu entschuldigen. Dann hatte er sich doch wieder anders besonnen, schließlich hatte er auch seinen Stolz. Nein, er würde ihr helfen, ohne etwas zu sagen, und ihr dann das Ergebnis seiner Nachforschungen präsentieren. Nino hatte nachgedacht und sich den Kopf wegen des Codes zerbrochen. Wenn es nun ein Komplott war, das Manien gegen seine Patienten angezettelt hatte? Er musste die ehemaligen Patienten finden und feststellen, was aus ihnen geworden war. Einer von ihnen, Daumas, hatte ein gewaltiges Problem, das war bereits bekannt, aber die drei anderen?
Die Wohnung im dritten Stockwerk links hatte keine Klingel, daher klopfte Nino an und setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. Er hörte schlurfende Schritte, dann öffnete sich die Tür. Er sah eine verhärmte, ausgemergelte Frau in einem grauen Kleid. Die Wohnung lag im Halbdunkel.
»Wer ist da?«
»Guten Tag, Madame, ich bin Nino Paci von der Öffentlichen Fürsorge. Ich suche Clara Marais für eine Umfrage zum Gesundheitswesen.«
Er hatte sein Badge von Sainte-Félicité herausgezogen. Die Mutter von Clara Marais sah ihn eine Weile schweigend an, dann öffnete sie die Tür und ließ ihn eintreten.
25
Während er auf seine Frau wartete, trank Benoît Blake angespannt und sorgenvoll sein Bier und lauschte den Nachrichten. Er war fest entschlossen, einen angenehmen Abend mit ihr zu verbringen – was schon seit mehreren Tagen nicht mehr der Fall gewesen war. Um neunzehn Uhr hörte er endlich, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Auf dem Flur zog Cyrille den feuchten Trenchcoat und die Schuhe aus, legte ihre Tasche ab und stellte den
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