Begraben
geschickt. Die neue Vereinbarung schien ihm gelegen zu kommen. Umso besser. Sie seufzte. Benoît sollte bloß nicht hier auftauchen, um sie zu holen. Sie konnte sich um sich selbst kümmern. Cyrille erreichte die letzte Biegung. Noch fünf Personen vor ihr, vier, drei …
»Cyrille!«
Eine Hand legte sich schwer auf ihre Schulter, und sie erstarrte. Benoît war an der Schlange vorbeigelaufen bis hin zu ihr. Mit einem angedeuteten Lächeln versuchte sie, sich diskret und ohne ihn anzusehen, freizumachen. Bloß keinen Skandal so dicht vor der Kontrolle.
»Lass mich, Benoît, bitte«, sagte sie sanft, aber bestimmt.
Seine Augen waren eiskalt.
Sein Griff wurde fester.
»Mein Liebling, ich verstehe dich nicht, du musst nach Hause kommen.«
Cyrille bemerkte, dass auch er leise sprach, sich freundlich gab und dabei die Polizisten im Auge behielt. Sie antwortete ihm ebenso höflich und betonte dabei jede Silbe.
»Ich will nicht, lass mich.«
»Wenn du nicht willst, brauchst du ja nicht in die Rothschild-Klinik zu gehen, das verspreche ich dir. Aber wir müssen miteinander reden, ich bin dein Mann.«
»NEIN.«
»Du hast in Bangkok nichts verloren, mein Liebling«, beharrte Benoît, »ich werde mich um dich kümmern. Wenn du mich liebst, fahr nicht.«
»Ich habe meinen Kongress und einen Termin bei Sanouk Arom. Ich muss ihn treffen.«
»Aber was, um Himmels willen, willst du denn von ihm?«
» Er wird mir helfen, mich zu erinnern, was vor zehn Jahren geschehen ist.«
Dieses » er « war zu viel, aber nun war es zu spät, es war ausgesprochen. Benoît biss knirschend die Zähe zusammen und betonte jedes Wort:
»Die Vergangenheit ist die Vergangenheit, lass sie ruhen und rühr nicht mehr daran.«
Cyrille sah ihren Mann argwöhnisch an. Er hatte eine Spritze aus der Tasche gezogen und schnippte mit dem Daumen die Kappe über der Nadel weg.
»Du kommst mit, und zwar auf der Stelle. Das reicht.«
Benoît hatte nichts Liebenswürdiges mehr. Die Nadel stach durch Cyrilles Trenchcoat und die Bluse.
Reflexartig zog sie den Arm weg.
»Au, was macht du …?«
Ihr Blick wanderte von dem geröteten Gesicht ihres Mannes zu ihrem Arm und von dort zu seiner Hand. Ungläubig öffnete sie den Mund.
Der Beamte am rechten Schalter winkte sie heran. Cyrille Blake lief auf ihn zu wie auf einen Rettungsring. Entsetzt von dem, was gerade geschehen war, zeigte sie ihren Pass und ihre Bordkarte, ohne sich noch einmal umzuwenden. Benoît hatte ihr eine Spritze verpasst, als wäre sie ein tollwütiges Tier! Der Mann reichte ihr ihre Papiere zurück, sie ging weiter und fuhr die Rolltreppe zur Sicherheitskontrolle hinauf. Als sie sich umdrehte, war auf ihrem Gesicht nur Verblüffung zu lesen – auf dem von Benoît, der hinter der gelben Linie stand, nichts als Wut.
Cyrille war nur von einer Idee besessen: So schnell wie möglich Gate 10 erreichen, bevor das Mittel – was war es überhaupt? – seine Wirkung zeigen und sie womöglich mitten im Duty Free Shop zusammenbrechen würde. Sie bewegte sich im Eiltempo voran, ein Wettlauf gegen ihren eigenen Metabolismus. Sie musste den Flugsteig erreicht haben, ehe das Molekül in ihren Blutkreislauf und ihr Gehirn vorgedrungen war. Und dann würde sie sich unter Aufbietung aller Kräfte zu ihrem Sitz an Bord schleppen. Ihre Augen begannen schon zu brennen. Verdammt! Aber nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Es handelt sich um ein Morphinpräparat, aber offenbar nicht hoch dosiert . Die Mittel, die in der Psychiatrie verwendet wurden, konnten einen übererregten Patienten im Handumdrehen flachlegen. Sie hingegen konnte sich noch im Laufschritt zu ihrem Gate begeben.
Man hatte gerade mit dem Einsteigen begonnen, zuerst die begleiteten Fluggäste. Während Cyrille wartete, dass ihre Reihe aufgerufen wurde, ließ sie sich auf einen der Plastikstühle sinken, um ihre Kräfte zu schonen und gegen das Schweregefühl anzukämpfen. Füße und Knöchel kribbelten bereits, in ihrem Kopf begann es zu summen. Sie bewegte den Kiefer hin und her und riss die Augen auf. Die Geräusche drangen immer gedämpfter an ihr Ohr.
Die Stewardess rief die Reihen 9 bis 25 auf, sie sah auf ihre Bordkarte, ihr Platz war in Reihe 11. Sie erhob sich, schwankte kurz, fing sich wieder und stützte sich auf ihren Koffer. Als sie sich anstellte, überfiel sie ein unwiderstehlicher Drang zu schlafen. Bloß die Augen nicht schließen, dann würde sie sie nie wieder aufmachen. Langsam schritt sie auf die
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