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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Raumpflegeservice, der zweimal pro Tag kam. Es war jedoch auch der erste Ort, wo Benoît sie suchen würde, davon konnte sie ausgehen, nachdem er versucht hatte, sie mit einer Spritze ruhigzustellen wie einen tollwütigen Hund  … Cyrille blies ihre Wangen auf, stieß die Luft wieder aus und versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten. Ihr Mann, an den sie geglaubt hatte, belog sie. Seit sie ihre Sinne wieder beisammen hatte, kreiste Benoîts Satz in ihrem Kopf. »Die Vergangenheit ist die Vergangenheit, es nutzt nichts, sie zu erwecken, lass sie ruhen.«
    Im Taxi, das sie am Flughafen genommen hatte, war sie zu einer trostlosen Schlussfolgerung gelangt. Benoît wusste, was in Sainte-Félicité vorgefallen war, davon war sie mittlerweile überzeugt. Er wusste, was sie vergessen hatte, und tat alles, um zu verhindern, dass sie sich wieder daran erinnerte. War nicht er es gewesen, der sie aufgefordert hatte, Julien Daumas nach Sainte-Anne zu überweisen? Aber warum nur? War ihre Vermutung richtig? Sie musste offen mit ihm darüber sprechen.
    Sie hatte sich dazu entschlossen, in die Khao San Road zu gehen, weil sie zwei Tage absolute Ruhe brauchte, um mit sich selbst ins Reine zu kommen und Arom zu treffen. Anschließend begann der Kongress, und sie würde schon sehen, was sie dann täte. Zudem war dies vor zehn Jahren der Ort gewesen, an den sie »geflohen« war. Cyrille hatte die winzige Hoffnung, dass diese Umgebung ihr helfen würde, die Mosaiksteinchen der ausgelöschten Vergangenheit zusammenzusetzen. Rechts von ihr öffnete sich ein roter Ziegeltorbogen auf eine Geschäftsgalerie. Ohne zu zögern, betrat Cyrille die Passage. Zu ihrer Rechten ein Fast-Food-Restaurant und ein Herrenschneider, zur Linken ein Internetcafé, ein Tätowierer und ein Reisebüro, das Ausflüge auf die Insel Koh Tao anbot. Am Ende befanden sich ein Konzertsaal und die Rezeption des Hotels Buddy Lodge. Cyrille legte ihre Reservierungsbestätigung vor, und der Empfangschef übergab ihr sofort die Magnetkarte für Zimmer 39.
    »Führt es auf die Straße hinaus?«, fragte Cyrille Blake.
    »Ja, aber es ist das ruhigste Zimmer, das wir haben.«
    Cyrille bedankte sich, nahm den Aufzug und breitete fünf Minuten später ihr weniges Gepäck auf dem Bett aus. Das Hotel war erst vor Kurzem renoviert worden. Das Zimmer war sauber, ganz in Weiß gehalten, das Holz des Bettrahmens war Mahagoni-Imitat. Cyrille zog ihre verschwitzten Sachen aus und verschwand im blau gekachelten Badezimmer.
    Unter der kühlen Dusche seifte sie Kopf und Körper ein, als wasche sie sich seit Wochen zum ersten Mal. Dann verließ sie die Kabine und betrachtete sich im Spiegel. Es war ihr Gesicht und doch auch wieder nicht. Unter ihrer Schädeldecke verbarg sich eine andere Frau, die zuschlagen konnte, sobald sie schlief. Sie sah auf ihre Hände und drängte erneut ihre Tränen zurück.
    Sie kämmte ihr Haar, ein Ritual ihrer Kindheit, das ihr wie ein tröstliches Regressionsverhalten vorkam, und frisierte es dann brav nach hinten.
    In ein Badetuch gehüllt, ging sie zurück ins Zimmer und untersuchte den auf dem Bett ausgebreiteten Inhalt ihres Koffers. Es war nichts Passendes dabei. Sie hatte nur Arbeitskleidung eingepackt, gut geschnittene Kostüme, perfekt für die klimatisierten Räume im Kongressgebäude, jedoch ungeeignet für die schwüle Wärme Bangkoks. Sie wählte eine Hose und eine strohgelbe Bluse, um sich draußen etwas Angemessenes zu kaufen.
    Nachdem sie sich angekleidet hatte, setzte sie sich einen Moment aufs Bett und zog ihre Ballerinas an, die ebenfalls zu warm waren. Im Geist setzte sie Flip-Flops auf ihre Einkaufsliste. Zimmer 39 war sicher ruhiger als die anderen, von der Straße drangen dennoch Verkehrslärm und Stimmengewirr herauf. Wie würde sie die kommenden Stunden und Tage bewältigen? Seit ihrer überstürzten Abreise wagte sie erstmals, sich die Frage zu stellen. Ich habe ein riesiges Problem, wie kann ich es lösen? Vor ihrem inneren Auge tauchte Astors vertraute Gestalt auf, aber sie vertrieb dieses Bild sofort. Unmöglich für sie, jetzt »daran« zu denken. Sonst raste ich total aus – sofern dies nicht ohnehin schon der Fall ist. Sie dachte angestrengt über alles andere nach und schloss mit sich selbst eine Vereinbarung. Sie gab sich diese Woche, um eine Lösung zu finden. Morgen um elf Uhr würde sie Sanouk Arom konsultieren. Mit etwas Glück wäre er bereit, ihr zu erläutern, wie er die Straßenkinder behandelte, die unter lakunärer

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