Begraben
Mal, dass sie zu diesem Ergebnis kam. Der Typ, von dem sie träumte, träumte von etwas anderem. Sie war nicht blind und hatte die Anzeichen eindeutig gespürt. Er hatte sie gern, aber er liebte sie nicht. Heute war ihr letzter Abend.
Sie hatte ihrer Tante und deren Wahnvorstellungen nicht geglaubt. Julien war der sanfteste, aufmerksamste und verträumteste Mann. Er konnte niemandem etwas zuleide tun. Wenn sie noch ein wenig drängte, würde er sie vielleicht doch mitnehmen.
Im Job alles okay?
Moune insistierte. Marie-Jeanne hatte heute wirklich keine Lust zum Chatten. Ohne sich zu verabschieden, unterbrach sie die Verbindung.
*
Die Stirn an die kalte Scheibe des Taxis gepresst, das sie zum Flughafen Roissy fuhr, weinte Cyrille. Sie zog ihr iPhone aus der Tasche: drei unbeantwortete Anrufe und eine SMS von Benoît: »komme chna Hause, warte auf chim«. Benoît versuchte, ihr zu helfen, dafür war sie ihm dankbar und dafür liebte sie ihn, aber lebend würde man sie nicht in die Psychiatrie bekommen. Sie stellte das Handy auf Vibration. Sie kannte die Regeln in diesen Anstalten. Egal, ob es nun die Rothschild-Klinik oder Sainte-Félicité war: das Prozedere war überall gleich. Sie hatte ihre Katze getötet und konnte sich an nichts erinnern. Das hieß, sie war krank und zugleich womöglich für sich und für andere gefährlich. Die Rechnung war einfach: In den ersten achtundvierzig Stunden würde man ihr Beruhigungs- und Schlafmittel verabreichen und sie intensiven therapeutischen Sitzungen unterziehen. Nachts würde man sie aus Sicherheitsgründen einsperren, damit sie den anderen »Bewohnern« nichts antun könnte.
Für Cyrille war das keine akzeptable Option. Ihre Intuition sagte ihr nur eines: fliehen, fliehen, fliehen. So schnell wie möglich. Nicht in die Mühlen der Psychiatrie geraten, die die Menschen zu Schatten machte und dann vergaß.
Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Noch war alles möglich.
Gerade als Benoît seinen Audi A6 nur wenige Meter von seiner Wohnung entfernt in eine Parklücke in der Avenue Bosquet manövrierte, stieg Cyrille in ein Taxi. Benoît war so überrascht, seine Frau wegfahren zu sehen, dass er auf die Stoßstange des Smart vor ihm auffuhr. Was, zum Teufel, macht sie? Ohne den Motor auszuschalten, griff er nach seinem Handy und wählte die Nummer »Cyr mob« aus. Ein paar Klingelzeichen, dann die Mailbox. Verdammt! Er warf das Handy auf den Beifahrersitz und fuhr los. Er hätte sie vorhin nicht allein im Zentrum zurücklassen dürfen. Er musste dreimal vor- und zurücksetzen, um aus der Parklücke herauszukommen. Das Taxi hielt vor der roten Ampel an der Kreuzung. Kurz darauf fuhr es über die Pont de l’Alma Richtung Champs-Élysées. Für einen Augenblick verlor Benoît den grauen Mercedes aus den Augen. Wohin fährst du? Schimpfend bog er in die Place de L’Étoile ein. Ein anderes Taxi blockierte ihn, er schnitt einen grünen Twingo und fuhr Richtung Place des Ternes. Dem grauen Mercedes noch immer auf den Fersen, wählte er erneut ihre Nummer: Mailbox!
Cyrille hörte an dem akustischen Signal, dass sie eine Nachricht erhalten hatte. Sie zögerte kurz und hörte sie ab. Benoît: »Was treibst du da? Wohin willst du? Ich bin hinter dir. Warte. Wir müssen reden.«
Cyrille riss überrascht die Augen auf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie drehte sich um. Sie hielten gerade an einer roten Ampel unmittelbar vor der Auffahrt zum Périphérique. Hinter ihnen standen mehrere Autos. Sie konnte den Audi nicht ausmachen, ein Lieferwagen versperrte ihr die Sicht.
Nur noch zehn Fahrzeuge trennten ihn von dem Taxi, doch der Verkehr war inzwischen zu dicht, als dass er sich zu ihm hätte voranschlängeln können. Jetzt fuhr es auf den Périphérique, und Benoît folgte ihm etwa zehn Minuten lang. Als er das Schild »Charles-de-Gaulle/Roissy, Lille, Bruxelles« vor sich sah, erbleichte er. Doch der graue Mercedes machte keine Anstalten, abzubiegen, im Gegenteil, er beschleunigte das Tempo.
Cyrille beugte sich zum Fahrer vor:
»Könnten Sie vielleicht etwas schneller fahren?«
»Tut mir leid, hier ist Geschwindigkeitsbegrenzung, und es gibt viele Radarkontrollen. Später wird es besser.«
»Bitte, ich verpasse meine Maschine.«
Und ich habe meinen Mann an den Fersen, hätte sie am liebsten hinzugefügt.
»Um wie viel Uhr geht sie?«
»In einer Viertelstunde wird die Abfertigung geschlossen.«
»Das schaffen wir.«
Cyrille wagte es nicht mehr, sich umzudrehen,
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