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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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schreiben. Sein Verleger hatte ihm bereits die Herausgabe einer Autobiografie angeboten. Darin würde er über seinen Werdegang als Neurobiologe berichten, zugleich aber auch auf die großen Entdeckungen des Jahrhunderts im Bereich der Neurowissenschaften eingehen. Sollte er tatsächlich mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden, war der Verkaufserfolg sicher.
    Blake war die Berufung zum Biologen nicht in die Wiege gelegt worden. Sein Vater war Pfarrer, seine Mutter Lehrerin in einem kleinen Dorf in Südfrankreich gewesen. Beide hatten ihn dazu angeregt – um nicht zu sagen gezwungen –, Medizin zu studieren, was damals als das angesehenste Fach galt. Er hatte sich gefügt und war problemlos in die medizinische Fakultät von Montpellier aufgenommen worden, wo er, begabt, wie er war, sein Studium mit glänzendem Erfolg abschloss. In seinem Herzen war Benoît Blake jedoch Literat. Ein gemarterter Geist, der die Philosophie liebte, die Welt der Bücher und der Gedanken. Das Medizinstudium hatte ihn strukturiertes Denken gelehrt, er hatte jedoch nie wirklich Gefallen daran gefunden. Ihm war sofort klar geworden, dass es hingebungsvoller und gut ausgebildeter Menschen bedurfte, um andere zu heilen, Diagnosen zu stellen und Therapien zu verordnen. Er empfand diesen Beruf jedoch als langweilig und war zu der erforderlichen Hingabe nicht bereit.
    Die ständig klagenden Patienten gingen ihm auf die Nerven. Immerhin hatte er während seines Studiums große Neurologen und Neurochirurgen kennengelernt, die seine Entwicklung beeinflusst hatten. Mit achtundzwanzig Jahren wusste er, dass ihn am menschlichen Körper einzig und allein das Gehirn interessierte. Die anderen Organe waren ihm gleichgültig, widerten ihn geradezu an. Das Gehirn hingegen war die Quelle der menschlichen Intelligenz, des Denkens, der Abstraktion, der Sprache, der Kreativität und vor allem … des Bewusstseins. Hinter seiner scheinbaren Bescheidenheit verbarg der junge Arzt einen großen Ehrgeiz. In dieser Zeit öffnete das Institut Marey in Paris seine Pforten. Dieses erste internationale Forschungslabor für Neurowissenschaften nahm vielversprechende junge Forscher aus aller Welt mit offenen Armen auf und entwickelte kühne Experimente, die die Gesundheitspolitik der Nachkriegsepoche beeinflussen sollten.
    Benoît Blake hatte damals keinerlei Erfahrung in der Forschung und ging daher zunächst in die USA, um sich in einem Labor in Columbia mit den Methoden im Bereich der Neuronenphysiologie vertraut zu machen. Seine Erfahrungen in den USA der späten Sechzigerjahre befreiten ihn auch von seinem protestantischen Joch. Als er mit einem Mastertitel im Fach Neurophysiologie und voller Ambitionen zurückkehrte, wurde er im Institut Marey vorstellig. Bei einem Gespräch mit den Institutsleitern erläuterte er seine geplante Doktorarbeit über den neuronalen Schmerzschaltkreis. Am Ende dieses Tages hatte sich das Leben von Benoît Blake um hundertachtzig Grad gewendet. Sein Projekt hatte nicht nur einhellige Zustimmung gefunden, man vertraute ihm darüber hinaus ein kleines Team und ein Büro an. Mit dreißig Jahren wurde Blake Chef eines Forschungslabors, dem er den hochtrabenden Namen »Zentrum für Neurophysiologie der zerebralen Schmerzareale« gab. Er hatte das Hohe Haus betreten und zwar durch den Haupteingang.
    Von Anfang an wusste Benoît Blake, dass dieses Labor nicht sein endgültiges Ziel war. Er wollte mehr. Als das Institut umzog und bald darauf seine Pforten schloss, hatte Blake bereits die Leitung einer viel größeren Abteilung im nationalen französischen Forschungsinstitut CNRS übernommen. Er war ein unvergleichlicher Physiologe – methodisch, geduldig, ja fast zwanghaft. Seine Arbeiten waren stets einwandfrei, seine Methoden fehlerlos.
    Stieß er auf ein Problem, diskutierte er mit Forschern anderer Fachrichtungen, mit Biochemikern, Physikern oder auch Mathematikern, um sich neue Hypothesen zu erschließen und »seine Neuronen mit Sauerstoff zu versorgen«, wie er zu sagen pflegte. Oder er wandte sich wieder Rousseau und Voltaire zu, um die Augen von seinem Labortisch zu lösen, und mit »erfrischtem Geist« weiterzuarbeiten. Und stets gelang es ihm, die Hindernisse zu überwinden und eine Lösung zu finden.
    Seine grundlegende Gabe jedoch, die für eine Verlängerung der Finanzierung, seine Wahl in sämtliche Akademien und Jurys und schließlich gar seinen Eintritt in die Akademie der Wissenschaften und in das Collège de France gesorgt

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