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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Zimmer reserviert hatte, lag in einer
dieser Seitenstraßen, gerade so weit am Ende des Pilestredet,
daß es nicht mit dem SAS-Royal um die höchsten Preise zu
konkurrieren brauchte. Außerdem lag es zu Fuß in angenehmer
Entfernung von Thomas’ kleiner Wohnung, direkt hinter der
Frydenlunds Brauerei, die er mit einer jungen Frau namens Mari
teilte, die, soweit ich wußte, aus Løten kam. Sie waren einander
im vergangenen Sommer in einem Warteraum des Gare du Nord
begegnet und danach so gut wie unzertrennlich geworden. Das
irritierte seine Mutter mehr als mich. Bei mir hatte er schließlich
schon die letzten achtzehn Jahre nicht mehr gewohnt.
    Ich bekam ein Zimmer im vierten Stock. Es war ein einfaches
Einzelzimmer. Sehr einfach sogar, langgezogen, schmal, mit
einem Bett links, einem Stuhl und einer Minibar rechts und
einem Fenster zum Hinterhof. Wenn man einen Tisch brauchte,
mußte man die Minibar benutzen, auf der ein Weinglas auf
einem weißen Tuch stand. An der Wand hing die schlechte
Reproduktion eines Kupferstichs aus dem Mittelalter. Ein
Schmied bei der Arbeit, an einem Amboß irgendwo in einer
offenen Schmiede. Ich hoffte, er würde nachts nicht zuviel
Krach machen.
    Über dem Bett hing ein Wandtelefon. Ich nahm es herunter,
wählte die Nummer von Thomas. Es nahm keiner ab.
Ich ging zum Fenster und sah hinaus. Es war ein schmaler,
schwindelerregender tiefer Hinterhof mit steilen Feuerleitern,
die in die Unterwelt hinabführten. Das Gesims unter meinem
Fenster war ungefähr zwanzig Zentimeter breit: leichtes Spiel
für einen Seiltänzer, hoffnungslos für jemanden mit Höhenangst.
Ich versuchte es noch mal mit der Telefonnummer von Thomas. Bei Frischverliebten weiß man nie. Sie konnten mit etwas
anderem beschäftigt gewesen sein. Aber auch diesmal nahm
niemand ab.
Ich legte mich mit einer Zeitung auf das Bett, konnte mich
aber nicht konzentrieren. Draußen hatte jemand einen dunkelblauen Spätsommerhimmel aufgehängt, ein Mirakel, das nicht
einmal die Stadtplaner der letzten Jahrzehnte hatten ausradieren
können.
Der Nachtschlaf, den ich versäumt hatte, lag wie eine Wolldecke auf der Innenseite meiner Augen. Unter der Decke lag
eine Frau, die nicht zugeben wollte, wer sie war. Ich hätte es
verstanden, wenn sie sich nicht an mich erinnert hätte. Ich hätte
es sogar verstanden, wenn sie mich im Beisein anderer nicht
gekannt haben wollte. Aber daß sie sich nicht … Ich setzte mich
abrupt auf, den Geschmack von Zitrone im Mund. Ich könnte
doch Svend anrufen!
Ich schüttelte langsam den Kopf und setzte die Füße auf den
Boden. Ich hatte geschlafen. Svend, mit dem ich seit – wieviel
Jahren nicht gesprochen hatte?
Ich ging ins Badezimmer und wusch mein Gesicht mit kaltem
Wasser. Wie spät war es? Halb drei. Dann war Mons Vassenden
schon halb in Bergen, irgendwo in der Nähe von Geilo. – Aber
Svend, wie hieß er noch gleich? Høie, oder? Wo er sich wohl
rumtreiben mochte, nach so vielen Jahren? Jedenfalls kaum in
der Nähe von Geilo.
Ich sah hinaus. Während ich geschlafen hatte, hatten die
Stadtplaner doch ihren Willen bekommen. Dunkle, zerrissene
Wolken waren über der Stadt aufgezogen wie die Androhung
eines Inkassos vom Meteorologischen Institut.
Während ich im Telefonbuch blätterte, klang mir das Gespräch
schon im Ohr: Svend! Hallo du! Ich bin’s, Varg … – Wer? –
Varg Veum! Erinnerst du dich nicht … 1964 bis 65 … Wir
haben ne Menge Biere zusammen gekippt, über Politik diskutiert, bis die Gläser sprangen, und dann war ich mal bei dir zum
Dinner, mit einem Mädchen namens Aud und einem namens –
Merete … – Sag mal, was hast du gesagt?
Ich fand einen Svend Høie im Telefonbuch, mit dem ›d‹ und
dem ›i‹ an den richtigen Stellen. Als ich seine Privatnummer
wählte, nahm eine Frau ab, mit einer so nasalen Stimme, daß es
sich anhörte, als hätte sie sich die Nase mit einer Wäscheklammer zugeklemmt. Vielleicht war sie in der Nationalmannschaft
der Synchronschwimmerinnen und trainierte gerade am Küchentisch. Wenn nicht, hätte sie sich schon vor zwanzig Jahren die
Mandeln herausnehmen lassen sollen. – Nein, Svend sei nicht zu
Hause. Ich sollte es im Büro versuchen. – Und die Nummer? –
Ob ich die denn nicht hätte? – Nein, leider …
Ich bekam die Nummer und wählte sie. Diesmal antwortete
eine Frauenstimme, die klang, als käme sie direkt vom Slalomtraining in der Bærumsmark, mit einer Art sportlicher Kälte, als
sei ich

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