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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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befindet. Und rechts
von mir war der Orchestergraben, fünf Etagen senkrecht nach
unten.
8
    Ich erreichte die Feuerleiter in dem Moment, als Svein Grorud
den Kopf aus dem Fenster streckte und brüllte: »Haalt! Ich will
nur mit dir reden!«
    »Ruf mich an!«
»Du erreichst nichts weiter als einen Aufschub!«
»Schicks mir per Einschreiben!«
    Ich begann den Abstieg in mutigen Sprüngen. In der Treppenkonstruktion ertönte ein Echo von vibrierendem Stahl, und hinter einigen der Fenster zum Hinterhof tauchten Gesichter auf.
Für den Fall, daß ich massakriert würde, gab es genug Leute, die
meinen Nachruf schreiben konnten.
    Ich blickte nach oben. Svein Grorud war weg. Er benutzte den
alten Westerntrick und versuchte mir am Paß den Weg abzuschneiden.
    Ich war unten. Binnen zwei Sekunden hatte ich mich orientiert. Es gab nur ein Tor, und ich warf zwei Abfalleimer um, als
ich um die Ecke darauf zu lief.
    Das Tor zur Straße war zu, aber …
Ich drückte die Klinke herunter.
… nicht abgeschlossen.
Ich stieß es auf und stürmte auf die Straße; im selben Augen
blick kam Svein Grorud durch die Tür zur Rezeption, in einem
Tempo, als sei er ein unerwünschter Gast.
    Unsere Blicke trafen sich – auf dreißig Meter Abstand.
Ich hatte das Gefühl, wie eine Zeichentrickfigur durchzustarten, mit strampelnden Beinen auf der Stelle tretend. Dann bekam
ich Bodenkontakt und rannte los in Richtung Pilestredet, als
hätte ich die Startetappe der Holmenkollenstaffel zu laufen und
wäre zwei Minuten zu spät am Start.
    Ich erreichte Pillestredet und lief schräg auf die andere Straßenseite, überquerte den Parkvei und lief weiter hinunter zum
Zentrum.
    Ich sah über die Schulter. Svein Grorud kam stampfend hinter
mir her. Er lief wie ein Nashorn, mit schweren Beinen. Nach
seinen Ausmafien zu urteilen, wog er vierzig Kilo mehr als ich,
und das meiste davon hatte er zwischen den Oberarmen. Ich
hatte keine Lust, von ihm eingeholt zu werden. Und ich hatte
erst recht keine Lust, am Ziel von ihm umarmt zu werden, auch
wenn wir dreimal die Staffel gewannen.
    Zwischen einem Kebabstand und einem Bandagisten bog ich
in eine Seitenstraße. Wieder sah ich mich um. – Ich hatte den
Vorsprung vergrößert. Sein Gewicht bremste ihn.
    Ich kam an einer Grünfläche vorbei, die zur Welhavens Gate
führte, und lief im Zickzack weiter, von Ecke zu Ecke in der
Hoffnung, ihn abzuschütteln, hinunter zum Schloßpark.
    Im Wergelandsvei blieb ich stehen, um Atem zu holen. Mir
gegenüber befanden sich Kunstnernes Hus und Lektoorenes Hus
in einer Art unheiliger Allianz zwischen Kathedrale und Kathe der. Auf der anderen Straßenseite thronte das staatliche Künstlerhaus, Grotten * , blaßgelb im Nachmittagslicht. – Ich sah
ihn nicht mehr.
    Also lief ich in ruhigerem Tempo weiter, sah jedoch immer
wieder zurück; zum Nordraaks Plass, am schwarzen Baldachin
von Grotten Restaurant und der marmorierten Fassade der früher
so stolzen Norges Brandkasse vorbei, die inzwischen von einem
großen Konzern geschluckt worden war, mit Vollgas auf
Talfahrt.
Er war verschwunden.
* 1841-1845 Wohnsitz des norwegischen Dichters und Politikers Henrik
Wergeland, 1808-1845.
    Von der Kristian IV’s Gate sah ich quer über den Parkplatz
von Tullinløkka zur Kristian Augusts Gate, für den Fall, daß er
dort vorbeiliefe, auf einem anderen Breitengrad, aber zum
selben Ziel.
    Aber nein.
Allmählich wurde ich ruhiger.
Mit ständig langsamer werdendem Puls schlich ich mich
    weiter, an der Nasjonalgalleri vorbei, zur prangenden Glasfassade des Norske Teater, die es mehr wie ein norddeutsches
Opernhaus wirken ließ als wie einen Ort, an dem Nynorsk
gesprochen wurde.
    Zum Schluß überquerte ich die Rosenkrantz’ Gate und stieg
hinauf zur Kaffistova des Bærumer Jugendsportvereins, mit einem Körpergefühl, als hätte ich mir tatsächlich einen Platz in
ihrer Staffelmannschaft verdient.
    Ich sah mich um.
Ich konnte Marit nirgends sehen, aber es war schließlich auch
kaum mehr als zehn Minuten her, daß wir miteinander gesprochen hatten.
Ich nahm mir zwei Brötchen aus dem Tresen, ein Mineralwasser und einen Kaffee und ließ mich hinter einer schulterhohen
Trennwand nieder, so daß ich sowohl den Eingang als auch den
Bürgersteig im Auge behalten konnte.
    Es war nicht mehr viel Bäuerliches an der Kaffistova. Es hätte
ebensogut die Betriebskantine einer Autofabrik in Turin sein
können. Die Stühle waren stromlinienförmig, die Tische aus

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