Begrabene Hunde schlafen nicht
Regierungsviertels vorbei,
und tauchte wieder in das Gewimmel und den Lärm der Stadt
ein, ebenso zielbewußt wie eine fehlprogrammierte CruiseMissile.
Das Telefonbuch in einer Telefonzelle verriet mir, daß sich
Oslos kommunale Grundstücksverwaltung im Økernvei befand.
Ich nahm die U-Bahn von Stortinget nach Tøyen und suchte
nach der richtigen Adresse, mit Erfolg.
Das kommunale Bürogebäude hatte zwei Flügel, und der
Eingang lag in einem niedrigeren Mittelteil. Der rechte Flügel
hatte fünf Stockwerke und lag an den Fjellhang nach Kampen
gepreßt, mit Aussicht auf die wenigen übriggebliebenen alten
Holzhäuser in Brinken. Der andere Flügel hatte acht Stockwerke
und Aussicht auf die Kjølberggate.
Die Rezeption im Erdgeschoß war hell, mit rotbraunen Fliesen, weißen Betonsäulen, Glastüren mit blauem Rahmen und
einer weich abgerundeten Schranke in hellbraunem Teak.
Dem ersten Eindruck nach war A/S OSLO & CO. ein gepflegter und stromlinienförmiger Betrieb.
Die Frau hinter dem Tresen machte auch keinen schlechten
Eindruck. Sie hatte eine runde Brille und fast noch rundere
Körperformen. Sie lächelte freundlich und wies mich zum
linken Flügel, in den vierten Stock.
Die Frau, die am Informationsschalter von Oslos kommunaler
Wohnraumverwaltung saß, war allerdings ein eher reservierter
Typ, was durch die schmale, rechteckige Brille, die zusammengepreßten Lippen und die Art, wie sie das Kinn hob – als würde
sie gleich zuhacken –, noch betont wurde. Aus irgendeinem
Grund machte sie auf mich den Eindruck, als hätte sie ein
schlechtes Gewissen. Entweder war das angeboren, oder aber sie
wußte mehr über A/S OSLO & CO. als die Dame an der
Rezeption.
Als ich sie friedfertig an ein paar Gesetzesparagraphen über
Transparenz in der Verwaltung erinnerte, suchte sie flugs und
beflissen die fraglichen Dokumente heraus, und ich durfte mich
sogar damit an einen Tisch setzen, um sie genauer in Augenschein zu nehmen.
Die Papiere sagten mir, daß das fragliche Haus in der Urtegate
zusammen mit zwei Nachbargrundstücken einer Frau namens
Aud Finstad gehörte. Das Besitzrecht war ihr im Oktober 1987
von ihrem Mann, Thorbjørn Finstad überschrieben worden.
Finstad selbst hatte die Häuser nur ein halbes Jahr besessen. Im
März desselben Jahres hatte er sie von Preben Backer-Steenberg
gekauft, zu einem Preis, der mir, realistisch und bei Tageslicht
betrachtet, auffallend niedrig zu sein schien, besonders da die
Transaktion mindestens sechs Monate vor dem großen BörsenCrash im Herbst desselben Jahres stattgefunden hatte.
Nachdem ich mir die Informationen, die ich meinte, gebrauchen zu können, notiert hatte, gab ich die Dokumente brav der
pflichtbewußten Dame zurück. »Gibt es keine Liste der Mieter?«
»Hier nicht. Da müssen Sie zum Einwohnermeldeamt.«
Ich nickte und bedankte mich für die Hilfe.
Bevor ich ging, konnte ich nicht umhin, die Aussicht zu betrachten. Die Stadt lag vor ihr auf den Knien. Von hier oben aus
betrachtet, schimmerte das Meer im Spiegel wie gespannte
Seide.
Ich drehte mich zu ihr um. »Sag mal, gehört euch das alles –
und noch das halbe Königreich?«
»Nicht alles«, sagte sie mit einem säuerlichen Lächeln.
»Nein, denn dann müßtet ihr mehr Geld haben, als man meinen sollte, wenn man sich die Haushaltsdebatten anhört.«
»Viel mehr« war ihr trockener Kommentar, und sie beugte
sich demonstrativ wieder über eine Akte.
Ich fand den Weg hinaus. Die Dame an der Rezeption lächelte
mir zu. Aber auch sie sagte nicht auf Wiedersehen.
Ich nahm die U-Bahn zurück zum Zentrum. Um mein Reisebudget etwas zu schonen, ließ ich das Mittagessen ausfallen und
schloß mich der Reisparty des Oslo-Marathons im Zelt in der
Holbergsgate an, zu der die Eintrittskarte ein Fünfzigkronenschein war.
An langen Tischen aufgereiht, konnten die Leute unbegrenzt
Reis und Eintopf essen, während ein redseliger Mikrophonhalter
für Unterhaltung sorgte und Teilnehmer suchte, die noch nie
beim Oslo-Marathon mitgelaufen waren, die zum zehntenmal
liefen, die mit Ehegatten liefen oder ohne Kinder, Großeltern,
Frauen und andere Außenseiter, alle mußten auf die Bühne und
von den Sponsoren milde Gaben entgegennehmen.
Ein TV-Team schwirrte umher und probierte Kamerawinkel
für den späteren Abend aus, während ein Fünf-Mann-Orchester
bedrohliche Pausen im Programm mit Tönen füllte.
Es war kaum möglich, in Ruhe zu essen, und noch weniger
war Zeit, um mit dem Nebenmann
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