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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Taktiken und Erfahrungen
auszutauschen. Die meisten waren auch nicht zum Reden da,
sondern um ihre Energiedepots aufzufüllen. Ich begnügte mich
damit, meinen Hunger zu stillen.
Punkt 18.30 Uhr war ich zur Stelle in der Akersgate, wo sich
Norwegen jeden Tag in zwei Teile teilt. Nämlich bei der Wahl
einer der beiden großen Boulevardzeitungen des Landes, bei
denen die Zuschauerquote im Fernsehen den Ausschlag dafür
gibt, wer die Titelseiten füllen darf und wer mit einem Einspalter ohne Bild weit hinten vorliebnehmen muß; bei denen das
Leben in Würfelaugen gemessen wird und sich alles, absolut
alles auf einer Bewertungsskala von 1 bis 6 einordnen läßt.
Ich fragte mich, wie Ove Haugland sich in einer solchen
Umgebung fühlte. Aber noch mehr fragte ich mich, was er mir
zu erzählen hatte.
27
    Ove Haugland war grau geworden, seit ich ihn das letzte Mal
gesehen hatte, und das war auf dem Bildschirm gewesen
während seines kurzen Aufenthalts in Marienlyst. Er war noch
stromlinienförmiger, als ich ihn in Erinnerung hatte, und ähnelte
noch mehr einem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten als
Montgomery Clift. Sein Anzug war dunkelgrau, ein italienisches
Modell, der Schlips diskret und perlgrau. Das Krähensilber im
Haar gab ihm einen Touch von reifer Weisheit, der in interessantem Kontrast zu seinem jugendlichen Gang stand und eher an
einen alten Leichtathletikstar erinnerte, der noch recht gut in
Form war, mittlerweile als Kommunalrat oder in einer vergleichbaren Disziplin.
    Er kam aus dem Fahrstuhl, als steige er noch während der
Fahrt von einer Rolltreppe. Sein Händedruck war fest und
freundlich, das Lächeln etwas reservierter.
    Mit einem schnellen Blick registrierte er, daß auch ich sechs
Jahre älter geworden war, aber er kommentierte es nicht.
»Hast du gegessen, Veum?«
»Mehr, als mir guttut. Auf der Reisparty vom Oslo-Marathon.«
Er hob die Augenbrauen. »Läufst du mit?«
»Es sieht so aus, ja.«
»Das paßt eigentlich gut. Ich habe auch – dann gehen wir ein
Bier trinken, oder?«
»Alkoholfrei für mich, bitte.«
»Bist du auf Entzug?«
»Nein, längst abgesprungen. Aber wegen des Laufes morgen.«
»Ach so. Aber du verträgst den Geruch?«
Ich nickte.
»Dann schlag’ ich vor, wir gehen direkt nach nebenan. Normalerweise ist es da um diese Tageszeit ruhig.«
Es ist eine Frage des Geschmacks oder der Gewohnheit, was
man ruhig nennt. Nach der Atmosphäre des Lokals mit dem
Namen Berlin zu schließen, mußte Ove Haugland die Einflugschneise von Fornebu friedlich nennen und ein Rockkonzert wie
eine pastorale Symphonie erleben.
Der Vorteil war, daß es unmöglich war mitzuhören, was am
Nachbartisch geredet wurde, und selbst am eigenen Tisch mußte
man auf höchst intime Weise die Köpfe zusammenstecken, um
miteinander zu kommunizieren. Wir kamen einander so nahe,
daß ich feststellen konnte, daß Ove Haugland ein völlig anderes
Rasierwasser benutzte als ich, und er hatte seins auf keinen Fall
in der Drogerie gekauft.
Wir bestellten jeder ein Glas im Gedränge an der Bar, er ein
Pils, ich ein Leichtbier, und ließen uns an einem Tisch in einer
Ecke nieder, wo es genauso dunkel war wie im übrigen Lokal.
Wir befanden uns in einem Keller, spärlich beleuchtet und
schwarz gestrichen, mit Ausnahme einer signalroten Telefonzelle in der Ecke. Durch die rechteckigen Fenster unter dem Dach
sahen wir die Füße der Leute, die draußen vorbeigingen. Das
gab mir das beklemmende Gefühl, ein Fisch in einem Aquarium
mit sinkendem Wasserspiegel zu sein.
Wenn er mit ruhig gemeint hatte, daß noch nicht viele Gäste
da waren, dann hatte er recht. Aber die da waren, waren Männer,
alle aus einer klar begrenzten Altersgruppe, ungefähr zwischen
fünfundzwanzig und fünfzig, und alle hatten etwas gemeinsam,
das sie wie eineiige Mehrlinge wirken ließ: eine auffällige
Mischung aus Intensität und Distanziertheit. Das Kinn glattrasiert, Kurzhaarfrisur, gefärbtes Haar und schwarz gekleidet, die
meisten in Leder, abgesehen von dem einen oder anderen
Dressman wie Ove Haugland. Die Blicke, die sie uns zuwarfen,
waren so direkt, daß es schwierig war, nicht zurückzustarren.
Aber das wäre kaum sehr smart gewesen.
Viel weniger hätte gereicht, um des Ehebruchs verdächtigt zu
werden.
Ove Haugland hob sein Glas. »Und wie geht’s so im Freistaat
Bergen?«
»Die örtliche Erste-Liga-Fußballmannschaft hat ihren Schwe den gewechselt, der Verkehr übt sich im Erliegen, Sissel

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