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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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antwortete aus dem Wohnzimmer, und wir trafen uns in
der Tür.
Sie war in Dunkelblau an diesem Abend und trug einen dieser
engsitzenden Strampelanzüge für Frauen, After ski -Anzug hieß
das sicher in Geilo, ein Ganzkörper-Hosenanzug, der wie Neuschnee auf ihrem Körper lag. Er war vorn zu öffnen, und der
Reißverschluß saß in offenherziger Position zwischen ihren
Brüsten.
Im Wohnzimmer stand die Musikanlage auf volle Pulle, und in
dem halboffenen Holzofen glühten noch ein paar massive Scheite. Ein Streichquartett erfüllte den Raum mit einem dunklen
Wohlklang. Es war ein Musikstück mit dramatischen Passagen,
wie ein steiler Abstieg vom Hochfjell mitten in der Nacht.
»Schubert?« fragte ich.
Sie nickte überrascht. »Der Tod und das Mädchen«, sagte sie
in unheilverheißendem Ton.
»Lustige Töne für einen Freitagabend?« sagte ich leichthin.
Aber ihre Angespanntheit war nicht zu übersehen.
»Eine Tasse Kaffee? Ein Glas Likör?«
Ich zögerte einen Augenblick. »Ja, gern. Ein Glas schadet
wohl nicht.«
Sie sah mich verwundert an. »Wieso?«
Ich lächelte hilflos. »Ich werde morgen den Marathon mitlaufen.«
»So?«
»Jemand braucht Begleitung. Preben Backer-Steenberg, über
den wir gestern abend geredet haben.«
»Aha.«
Sie setzte sich auf einen Stuhl. Auf einem kleinen Tisch standen eine Kaffeekanne, Tassen, Gläser und eine Flasche Likör.
Während sie einschenkte, holte ich mir einen Stuhl und stellte
ihn neben ihren.
Die Glut des Feuers überzog ihr Gesicht mit einem Hauch von
Sonnenuntergang und machte die klaren Züge weicher. Sie war
für mich immer noch das Mädchen aus einem Gunnar-LarsenRoman, jetzt mehr denn je. Sie kam aus der Nordmark zurück,
hatte die Skier an die Wand gestellt, geduscht und sich etwas
Bequemes angezogen; jetzt saß sie vor dem Kamin, mit Frostrosen auf den Wangen und der Erinnerung an Schneewehen im
Blick.
Aber ihr melancholischer Gesichtsausdruck, verstärkt durch
die düsteren Tonfolgen aus der Stereoanlage, verrieten sie.
Unter der Haut trug sie das Oslo der Neunziger, dunkel, aggressiv und aus dem Gleichgewicht geraten. Verdunkelte Straßen,
von Abgasen durchsäuert; Fußgängerunterführungen mit rassistischen Graffiti an den Betonwänden; das Geräusch einer zersplitterten Flasche, das Rasseln einer Kette, das leise Seufzen
eines aufklappenden Springmessers: so weit entfernt von den
sauberen Loipen wie nur möglich, ein Abstand wie vom
Sognsvann bis Manhattan, und doch durch eine U-Bahn-Fahrt
zu überbrücken.
Ich trank einen Schluck Kaffee und nippte am Likör, ein
geteerter Weg durch sonnenreife Heide in Schottland, umrahmt
von blühender Erika. »Na, wie war dein Tag?«
Sie antwortete nicht, hob nur die Schultern und starrte über
den Rand des Likörglases in die Wärme.
»Ist was passiert?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Hat jemand angerufen?«
»Wer denn schon?«
»Ich dachte, für mich?«
Sie drehte den Kopf in meine Richtung, so abrupt, daß ihr
Haar aufflog. »Nein! Auch nicht für dich.«
Die Musik machte eine Pause zwischen zwei Sätzen. Dann
erfüllte sie wieder den Raum, eine Schute, die mit geblähten
schwarzen Segeln auf den Untergang zusteuerte.
Ihr Lächeln war schief. »Ich hätte wohl lieber Solveigs Lied spielen sollen.«
»Ist doch etwas passiert?«
Sie schüttelte wieder den Kopf. Dann streckte sie die Hand
aus, öffnete sie. Ich legte meine vorsichtig hinein, und sie strich
mir über den Handrücken und die Innenseite der Finger. »Ich
bin nur manchmal einfach so deprimiert. Ich sitze hier, allein, an
einem Freitagabend. Habe keinen festen Job, sondern renne von
einem Ort zum anderen. Habe keine feste Beziehung, sondern
…« Sie unterbrach sich selbst: »Suche.«
Sie legte die freie Hand an den Kopf, den Kopf schief und
streckte die Schulter, als hätte sie Nackenschmerzen.
Unsere Blicke trafen sich. »Ruft jemand an? Nein. Eilt jemand
nach Hause, weil er am liebsten mit mir zusammen sein möchte?
Nein.«
Ich fühlte ein akutes Vakuum in der Magengegend. »Ich bin
gekommen, so schnell ich konnte, aber …«
»Nimm’s nicht persönlich! Du hast ja eine Freundin, oder? In
Bergen.« Sie zog eine Grimasse. Der Griff um mein Handgelenk
war fester geworden, ihre scharfen Nägel taten mir fast weh.
»Wo bist du gewesen?«
»Überall und nirgends. Zum Schluß bin ich in einer Kneipe
namens Berlin gelandet, mit einem Bekannten.«
»Berlin? Ist das ein Ort für richtige Männer?«
»Vielleicht nicht. Hast du

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