Begrabene Hunde schlafen nicht
leer. Nur zwei Autos parkten am Rand,
mögliche Verstecke. – Ich ritt einsam über den Paß, und
niemand konnte sich geschickter verbergen als die Apachen.
Ich ging weiter und sah mich immer wieder um.
Als ich um die Ecke zur Kristian IV’s Gate einbog, stieß ich
mit einem mir entgegenkommenden Typen zusammen. Wir
schraken beide zusammen. Vielleicht hatte er Ove Hauglands
Vortrag über die Verrohung in Oslos Seitengassen auch gehört,
denn er sah aus, als befürchtete er das Schlimmste.
Ich entschuldigte mich und überquerte die Straße. Er zog
erleichtert weiter.
Oben in der Straße, die ich gerade verlassen hatte, tauchte laut
johlend eine Jugendgang auf, aber ihr Kurs war ein anderer als
meiner.
Sonst sah ich niemanden.
Ich fühlte eine fast physische Erleichterung, als ich auf den
breiten, erleuchteten Bürgersteig der Karl Johan kam. Dies war
der angeblich sicherste Teil, bei der Lichtung zwischen Slott
und Storting, das Repräsentativste, was die Stadt zu bieten hatte.
Hier lagen das edelste Hotel, die teuersten Restaurants, die
größte Buchhandlung, der exklusivste Goldschmied und die
älteste Universität des Landes.
Ein flutlichtbeschienener Ibsen warf einen scharfkantigen
Schatten auf die Fassade des Theaters. Deutlich frischere
norwegische Dramatiker führten sie dort auch selten auf.
Ich holte meinen Koffer aus dem Schließfach an der U-BahnStation hinter dem Theater, diskret überwacht von zwei unrasierten Dreizehnjährigen in Lederjacken, denen mit deutlichen,
großen Buchstaben Stricher quer über das Gesicht geschrieben
stand.
Niemand folgte mir in den Untergrund, und niemand fuhr in
dieselbe Richtung. Zu dieser Tageszeit floß der Strom in die
andere Richtung.
Bis Majorstuen war ich allein im Abteil. Dort stiegen ein
älteres Ehepaar mit vollen Plastiktüten und zwei ungefähr
zwölfjährige Schuljungen mit um den Nacken gehängten
Fußballschuhen zu.
In Hovseter stieg ich aus. Als ich die Straße überquerte, entdeckte ich aus dem äußersten Augenwinkel ein rotes Auto.
Ich drehte mich etwas um und sah hin.
Es war ein rostfleckiger Ford Escord. Er stand fünfzig Meter
weiter am Straßenrand, und ich erkannte die Silhouetten von
zwei Personen auf den Vordersitzen.
Ich vergrößerte meine Schritte und ging rasch in die entgegengesetzte Richtung, den Gamle Hovsetervei hinaus.
Hinter mir hörte ich zwei Autotüren zuschlagen.
Ich erhöhte das Tempo noch mehr und warf einen Blick zurück. Zwei dunkelhäutige Jugendliche in schwarzen Lederjacken
kamen mir hinterher.
Ich näherte mich von hinten einem Hundebesitzer. Weiter
unten überquerte eine Jugendgang eine Fußgängerbrücke.
Ich holte den Hundebesitzer ein. Der Hund, ein langgestreckter
Cockerspaniel, schnupperte vorsichtig an meinem ihm nächsten
Hosenbein, während der Besitzer, ein Mann Ende Fünfzig mit
grauem Haar und rotkarierter Sportjacke, an der Leine zog und
einen ängstlichen Blick in meine Richtung warf.
Wieder drehte ich mich um und sah zurück. Die beiden hinter
mir waren sehr langsam geworden und sprachen miteinander.
Der Hundebesitzer wechselte auf die andere Straßenseite, als
hätte er Angst, in etwas Unangenehmes hineingezogen zu
werden.
Ich sah wieder nach vorn.
Die Jugendgang aus Hovseter war dieselbe, auf die ich am
ersten Abend getroffen war. Aber jetzt hatten sie keine Zeit,
Autoantennen zu demolieren. Sie blickten starr sowohl an mir
als auch an dem Hundebesitzer vorbei. Mit einer Gangart, die
sie in schlechten amerikanischen Thrillern aufgeschnappt hatten,
verteilten sie sich über die ganze Breite der Straße wie eine
Menschenkette. Dann liefen sie los.
Ich sah ihnen nach. Die beiden aus dem roten Auto hatten
kehrtgemacht und liefen mit Riesensprüngen zurück in Richtung
Stasjonsvei.
Gleich darauf hörte ich einen Motor aufheulen und sah das
Auto als einen roten Streifen vorbeifahren, gerade noch rechtzeitig, um den Verfolgern zu entkommen.
Ich sah mich nach jemandem um, mit dem ich das Erlebnis
hätte teilen können. Aber der Hundebesitzer war schon weit
oben zwischen den Blocks, wie ein verwundeter Kriegsberichterstatter zurück von einem Schlachtfeld, zu dem geschickt zu
werden er nie gebeten hatte.
Ich folgte ihm, ging hinüber zum richtigen Block und schloß
die Haustür auf.
Drinnen blieb ich stehen und atmete tief durch, bevor ich zu
den Fahrstühlen ging.
Mit dem Gefühl, etwas Unerlaubtes zu tun, schloß ich die Tür
zu ihrer Wohnung auf. »Hallo? Marit?«
Sie
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