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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Varg?«
Ich stand auf und ging zur Garderobe. Als ich mich umdrehte,
sah ich, daß er hinterherkam.
Ich stolperte in die Toilette, wo die Wände weiß und frisch
poliert waren, die Spiegel wie Fenster zu einer neuen und
sauberen Welt wirkten und die Geräusche aus dem Lokal zu
Hintergrundmusik gedämpft wurden durch das Rauschen in den
Rohren und das unregelmäßige Spülen der Pissoirs.
Ich holte meinen Füller heraus und hinterließ meine Schrift,
wenn auch nicht an der Wand, so doch unmittelbar daneben.
Ove Haugland vollführte das gleiche Ritual auf dem Platz
neben mir.
Danach ging ich zum Waschbecken, wusch mir gründlich die
Hände und spülte sie mit eiskaltem Wasser ab, dann auch das
Gesicht.
Ich zog ein Papiertuch aus einem Behälter und trocknete mich
ebenso gründlich ab, als hätte ich den Abend in einem Bordell
verbracht.
Ich sah Ove Haugland an. »Zum Teufel, wozu hast du mich
mitgenommen, Ove?«
Er legte den Kopf schräg. »Hast du es immer noch nicht
verstanden? Das hier ist … Ich wollte dir – den Zeitgeist zeigen,
Varg! Siehst du das nicht? Wir sind die Heiligen der letzten
Tage! Das ist der Verfall des Römischen Reiches, Teil zwei!«
»Und wir sitzen in der ersten Reihe im Parkett und sehen den
Zug abfahren?«
»Wir leben in einer Zeit des Übergangs, gib’s zu! Wir befinden uns an einem Wendepunkt in der Geschichte, wo alles in
gewisser Weise erlaubt ist – jedenfalls möglich.«
»Das kann ich unterschreiben. Ich sehne mich schon nach zu
Hause. Nach den Bethäusern.«
Er kam näher. »Die Siebziger gehörten den Maoisten, die
Achtziger der rechten Welle, die uns alle in den Neunzigern an
Land spülte, mit zerschmetterten Gliedern und gebrochenen
Nacken. Wem verdammt noch mal die Neunziger gehören,
wissen die Götter.«
»Denen mit dem rechten Glauben, auf beiden Seiten der
Mittellinie. Sie haben schon angefangen, Kirchen niederzubrennen. Bist du Nihilist geworden, Ove?«
»Es ist eine neue Zeit im Anmarsch. Die Großmächte zerbrökkeln, neue Staatsgrenzen werden gezogen, es ist Zeit für neue
Koalitionen.«
»Na vielen Dank, und die neue Völkerwanderungszeit hat
längst begonnen.«
Er wandte sich abrupt um. »Ja und? Was willst du daran
ändern, Varg? Den Rest der Welt aussperren?«
»Habe ich …«
»Eine ›Festung Norwegen‹ errichten, ein Freizeitreservat für
Deutsche mit Campingwagen und Engländer mit Lachs-Fischrecht? Die dann Kitschpostkarten nach Hause schicken können?
Shittings from Norway?«
»Hab’ ich davon geredet, irgend jemanden auszusperren?« Ich
zeigte auf den Ausgang. »Was du da drinnen siehst, Ove, ist was
ganz anderes als ein historischer Nullpunkt. Das ist eine Zivilisation in vollkommener Auflösung, die pervertierte Sehnsucht
der Überflußgesellschaft nach immer neuen Reizquellen, ein
Unterhaltungsanspruch jenseits aller Verhältnismäßigkeit. Und
es ist einer Welt angepaßt, in der Geld regiert und Leben keinen
Gegenwert mehr hat. Öffentliches Leben wie das der beiden
aufgespießten Opfer da drinnen oder persönliches Leben wie das
von Mons Vassenden. Oder Preben Backer-Steenberg. Oder …«
»Okay, okay, okay! Wollen wir wieder reingehen – zum
großen Finale –, damit du deine schlimmsten Befürchtungen
bestätigt bekommst?«
»Ich weiß nicht, ob mein Magen das verkraftet.«
»Vertrau auf deine Kondition.«
Er hielt mir die Tür auf, als wir hinausgingen. Durch die
Lärmschleuse der Garderobe kamen wir wieder in den Saal. Die
Frau am Nebentisch schickte uns einen verächtlichen Blick, der
anzeigen sollte, daß sie äußerst genau wußte, was wir auf der
Toilette getrieben hatten. Eine Bedienung trippelte herbei, um
unsere Gläser wieder mit Champagner zu füllen.
Wir hatten es sicher nötig.
Auf der Bühne bot der Rockpastor die letzten Töne eines
Liedes dar, dessen Text niemand verstand, weil er übertönt wurde, musikalisch vom Hausorchester und verbal vom Eierballett,
das im Chor gegen seinen Rhythmus einen umgeschneiderten
Beatles-Vers jaulte: We love you, yeah, yeah, yeah, we love you

Der Mann stand wie angewurzelt mitten auf der Bühne. Die
Chordamen schlängelten sich ihm wie Blasentang um Oberschenkel und Unterleib. Mit zitternder Stimme hob er den Blick
zu einem Himmel, von dem er hoffte, daß er sich für das hier nie
würde rechtfertigen müssen.
Dann kamen die unvermeidlichen Moderatoren hüpfend und
springend von der Seite auf die Bühne. »Mägde und Madonnen!«
»Broccolistengel

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