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Behalt das Leben lieb

Behalt das Leben lieb

Titel: Behalt das Leben lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaap Ter Haar
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seinen Mund zu, als wollte er sich die Zunge abbeißen.
    »Trotzdem ist sie ein dummes Huhn. Und wie sie aussieht, ist mir vollkommen schnurz!« Bitter brach nun all seine Verzweiflung hervor.
    »Das versteh ich«, murmelte Vater bestürzt.
    Es folgte ein kurzes, peinliches Schweigen. Dann sagte Vater leise, beinahe vorsichtig: »Weißt du, Beer, Augen lenken uns oft von der Hauptsache ab. Mit unseren Augen achten wir auf allerlei Kleinigkeiten, die nichts zur Sache tun. Wir achten auf die Äußerlichkeiten der Menschen, obwohl sie doch gar nicht so wichtig sind. Diesen Fehler wirst du nicht mehr machen. Begreifst du, dass das ein Vorteil sein kann? Du kannst dich mehr als andere darauf einstellen, wie die Menschen wirklich sind. Vielleicht hast du recht und diese erstaunlich hübsche Krankenschwester ist wirklich ein dummes Huhn.«
    Wie gut es Vater auch meinte, Berend war nicht in der Laune, sich von dieser Art netter, ermunternder Plauderei trösten zu lassen. Er blieb innerlich abwehrend und fühlte sich deshalb nur noch verzweifelter und mutloser.
    Vater begriff offenbar. Er gab sich Mühe, denRest der Besuchszeit mit Berichten über sein Büro und über eine Fernsehsendung auszufüllen, die er am Abend zuvor gesehen hatte. Erst beim Abschied unternahm er noch einen letzten Versuch, seinem Sohn Mut zu machen, den der gerade jetzt so bitter nötig zu haben schien: »Beer, eines weiß ich ganz genau. Du schaffst es. Ich erzähl dir nicht, dass es einfach sein wird. Aber ganz im Ernst, wir kriegen es schon hin.« Unterhalb des Verbandes spürte Beer einen Kuss. Und Vaters vertraute, kratzige Wange. »Halt dich tapfer. Das Schlimmste ist vorüber!«
    Nein, dachte Beer halb weinend, als sein Vater das Zimmer verließ. Das Schlimmste fing erst an, denn jetzt erst begann er, das Hoffnungslose seiner Blindheit zu übersehen.
    Einige Minuten später kam Schwester Annie herein. »Nun wollen wir dich mal hübsch zudecken!«
    Kwaak-kwaak-kwaak. Natürlich zog diese doofe Ente die Vorhänge zu.
    »Schlaf schön, Bübchen!«
    Bübchen! Es fehlte nur noch, dass sie armes, blindes Bübchen gesagt hätte. Mit geballter Faust schlug Beer in sein Kopfkissen und heulend vor Selbstmitleid murmelte er unhörbar leise: »O Gott, wenn es dich gibt, hilf mir . . .!«
    Eine unruhige Nacht. Beängstigende Träume jagten durch seinen Schlaf wie Pferde, die nicht im Zaum zu halten waren:Ein starr zugefrorener See in tödlicher Verlassenheit. Dunkelgraue Dämmerung. Schlittschuh laufen über gefährliche Eislöcher und immer wieder aufbrechendes Eis. Krachen.
    Immer mehr Risse, die sich unter seinen Füßen mit Wasser füllten. Und man sah die dünnen Stellen nicht.
    Nach links. Schnell wieder nach rechts. Und dann doch der falsche Schritt, sodass das Eis brach und Beer in die dunkle Tiefe sank . . .
    Schweißgebadet wachte Beer auf. Allmählich glitt die beklemmende Angst von ihm ab. Die Dunkelheit füllte sich mit den undeutlichen Geräuschen des Krankenhauses: das unterdrückte Gelächter zweier Nachtschwestern in der Küche. Ein Summer. Schritte. Noch mehr Schritte und flüsternde Stimmen. Etwas später rollte eine Trage mit leise quietschenden Rädern vorbei: Eine Notoperation?
    Beer fiel wieder in Schlaf. Und wieder schlich sich unabwendbar ein Traum ein:
    Er war allein zu Haus, allein mit Annemiek. Durch ein Fenster sah er im Garten Hunderte von schwarzen Schlangen über den Rasen und die Blumenbeete kriechen. Wollten sie ins Haus? Hatten sie es auf Annemiek abgesehen?
    Himmel, da stand ein Fenster offen. In panischer Angst rannte er ins Wohnzimmer, um das Fenster zu schließen. Zu spät! Eine dicke Schlange hatte sich schon halb über das Fensterbrett gearbeitetund streckte drohend ihren abscheulichen Kopf vor.
    Er rannte zurück, um wenigstens die Tür zum Korridor rechtzeitig schließen zu können. Annemiek zeigte auf die Küche. Auch da stand ein Fenster offen und schnell lief er hin! Wieder zu spät! Schon glitten die Schlangen übereinanderkriechend herein.
    Zurück! Er zog Annemiek die Treppe hinauf. Oben mussten sie sicher sein. Er flüchtete ins Bad, aber auch das Bad hatte sich schon mit schwarzen Schlangen gefüllt. Annemiek wagte nicht hinzuschauen und schlug die Hände vors Gesicht . . .
    Beer schreckte aus dem Schlaf. Er richtete sich auf, um sich umzusehen. Er wollte sich vergewissern, dass es nur ein Traum war. Erst als er aufrecht im Bett saß, wurde ihm bewusst, dass er gar nichts sehen konnte. Um ihn herum blieb

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