Behandlungsfehler
permanent entzündet. Sie hatte Schmerzen und konnte kaum essen, immer wieder verschrieb ihr der Zahnarzt Antibiotika, aber es gelang nicht, die Entzündung dauerhaft in den Griff zu bekommen. Und letztlich sagte das Gericht: Sie bekommen 1500 Euro Schmerzensgeld. Wenn man das auf zwei Jahre verteilt, sind das zwei Euro am Tag dafür, dass sie 24 Stunden am Tag Zahnschmerzen hatte. Wir hätten versuchen können, die Höhe des Schmerzensgeldes anzugreifen. Aber die Chancen, damit durchzukommen, wären gering gewesen. Ich fand es unverschämt. Zwei Euro – das ist eine Flasche Wasser, noch nicht einmal ein Kaffee bei Starbucks.
Bei Frau Vielmann setzte ich damals einen ziemlich hohen Betrag ein. Ich hielt ihn für gerechtfertigt. Eine Frau, die viel Wert auf ihr Äußeres legt, und nun mit einer Kauplatte, welche die Prothese hält, leben musste, sollte als Einzelfall betrachtet werden. Für mich wäre das die Hölle. Ich möchte nicht in irgendeiner Weise einen Zahnverlust hinnehmen müssen, und schon gar nicht durch den Fehler eines anderen.
Ich glaube, der Zahnarzt war vom Ausgang des Verfahrens ziemlich überrascht. Er war der Meinung, alles richtig gemacht zu haben, getreu dem Motto: »Ich hab ihr doch gesagt, dass sie eine ordentliche Mundhygiene machen muss. Und wenn sie das nicht tut, ist das nicht mein Problem.« Aber bei allen zukünftigen Behandlungen wird er darauf achten, dass seine Patienten auch verstehen, was auf dem Spiel steht. Und: Dieser Fall wird sich herumsprechen. Die Geschichte von Frau Vielmann trägt, so hoffe ich, dazu bei, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Fälle wegen einer fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung bringe ich überdurchschnittlich häufig in ein gerichtliches Verfahren, denn Zahnärzte einigen sich eher selten außergerichtlich. Das hängt damit zusammen, dass die Haftpflichtversicherungen für Erfüllungsschäden nicht aufkommen. Das heißt, wenn der Patient sagt, er möchte jetzt das Geld für die Reparatur des Schadens der Erstbehandlung, kommt die Haftpflichtversicherung nicht problemlos dafür auf. Sie zahlt nur das Schmerzensgeld und verpflichtet den Zahnarzt, das vereinnahmte Geld für die Erstbehandlung als sogenannten Erfüllungsschaden wieder zurückzuzahlen. Das Geld, das der Zahnarzt für die fehlerhafte Behandlung bekommen hat, muss er damit aus eigener Tasche zahlen. Deswegen blocken viele eine außergerichtliche Lösung ab und lassen es auf eine Klage ankommen.
Im Fall Vielmann war der Vergleich die sachgerechte Lösung. Es ging einfach darum, einen Ausgleich zu schaffen.
Ablauf des Verfahrens
Mir ist es wichtig, dass der Mandant seine Version des Vorfalls erzählt. Er ist am dichtesten dran. Und er weiß, welche Gefühle er wann und weshalb hatte. Ich glaube an das Bauchgefühl. Wenn ein Mensch sagt, da ist etwas falschgelaufen oder an der Stelle hätte man nach links statt nach rechts gehen müssen, sind das für mich wichtige Hinweise. Die kann man nirgendwo lesen, die stehen auch nicht in den Behandlungsunterlagen. Nur der Mandant kann sie mir erzählen. Was die Mandanten berichten, hilft mir die Behandlungsunterlagen richtig zu deuten.
Kürzlich habe ich für einen Vortrag bei meinen Mandanten eine Umfrage gemacht. Ich wollte wissen, warum sie überhaupt ihren Behandlungsverlauf haben überprüfen lassen. 60 Prozent antworteten, ihr Hausarzt habe geäußert, da sei wohl etwas schiefgegangen. Es seien Sätze gefallen wie: »Das wäre mir nicht passiert«, oder: »Das hab ich noch nie gehört.« Manchmal ist diese Reaktion fundiert. In vielen Fällen wurde aber auch einfach nur der Hausarzt von dem entsprechenden Krankenhaus nicht richtig informiert. Er kann nicht nachvollziehen, wie die Behandlung verlaufen ist, und deshalb wirkt sie auf ihn fehlerhaft. Anfangs habe ich öfter versucht, in solchen Fällen die Hausärzte zu einer schriftlichen Stellungnahme zu bewegen – ohne Erfolg. Auf genauere Nachfrage sind sie meist in ihrer Bewertung nicht mehr so sicher wie in ihrer spontanen Reaktion gegenüber dem Patienten.
Durch den Ärztemangel fehlt in vielen Kliniken die Zeit, mit den Patienten in Ruhe zu sprechen und ihnen zu erklären, was passiert ist. Hinzukommt, dass Patienten sich im Krankenhaus in einer Ausnahmesituation befinden. Sie haben Schmerzen und oft auch Angst. Deshalb sind sie nur begrenzt aufnahmefähig. Sie sehen nur, dass alles nicht so ist, wie es sein sollte. Wenn die Klinik den Hausarzt umfassend informiert, könnte
Weitere Kostenlose Bücher