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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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Verlauf aufgetreten? Da der Zahnarzt seine Haftpflichtversicherung im Laufe der Zeit dreimal gewechselt hatte, war seine jetzige nicht zuständig. Aber welche davor? Eine Stellungnahme ließ auf sich warten. Es war bald ein Jahr ins Land gezogen, als die sich zuständig fühlende Haftpflichtversicherung schrieb und den Anspruch mit der Begründung ablehnte, Frau Vielmann habe
eine »suboptimale Compliance« – sprich, sie hätte sich nicht an das gehalten, was man ihr verordnet hatte. Zahnärzte kennen dafür die Kürzel »OS«, das steht für »Oralsau«. Aber ich kannte Frau Vielmann und wusste, wie sorgfältig sie auf sich achtete. Damit konnten sie nicht punkten.
    Kurz darauf, während wir die Klageschrift vorbereiteten, erhielten wir überraschenderweise wieder Post von der sich eigentlich zuständig fühlenden Haftpflichtversicherung. Da hieß es: »In der Sache selbst teile ich Ihnen mit, dass es unserem Mandanten in der Zwischenzeit gelungen ist, eine andere Berufshaftpflicht zu eruieren, die höchstwahrscheinlich für den in Betracht kommenden Zeitraum deckungspflichtig ist. Wir haben diese bereits angeschrieben. Eine Stellungnahme von dort wird sicherlich erfolgen.« Und dann passierte wieder lange gar nichts. Wir haben die Füße stillgehalten, weil mir eine außergerichtliche Lösung mit der Versicherung als der beste Weg erschien, da wir nur gewinnen konnten, wenn das Gericht zu dem Ergebnis käme, dass ein grober Behandlungsfehler des Zahnarztes vorliegt. Aber irgendwann mussten wir Klage erheben. Und das taten wir auch.
    Nach dem üblichen schriftlichen Austausch der Argumente wurde schließlich ein Sachverständiger beauftragt. Damit wurde es spannend. Würde er unserer Argumentation folgen und einen groben Behandlungsfehler feststellen? Der Fall lag in einem Graubereich: Um die Parodontitis zu stoppen und die Zähne von Frau Vielmann zu retten, hätte der Zahnarzt unter anderem professionelle Zahnpflege verordnen müssen. Aber die Krankenkassen zahlen dafür häufig nicht, seinerzeit mussten im Zuge der Gesundheitsreform die Patienten diese Leistung in aller Regel selbst bezahlen. Kann es ein grober Behandlungsfehler sein, wenn ein Zahnarzt etwas nicht macht, was von den Krankenkassen nicht bezahlt wird?
    Andererseits: Mit dem von der Kasse gezahlten zahnärztlichen Standard konnte man dieser Patientin nicht helfen. In einem schwerwiegenden Fall wie diesem hätte der Zahnarzt zumindest Frau Vielmann erklären müssen, dass es zum
zahnmedizinischen Standard gehören würde, die Prophylaxe zu betreiben, jedoch die Krankenkasse dafür gegebenenfalls nicht aufkommt. Doch in ihrem Fall war der parodontale Abbau so weit fortgeschritten, dass man alles versuchen musste, um die Zähne zu retten. Wenn der Zahnarzt sich dahinter geklemmt hätte, hätte die Krankenkasse sicher auch für die Zahnreinigung gezahlt – so, wie sie auch bei schwierigen Schwangerschaften für die Feindiagnostik bezahlt, obwohl das nicht zu den bezahlten Leistungen gehört. Aber der Zahnarzt hatte es ganz offensichtlich nicht einmal versucht.
    Es hängt immer viel davon ab, wer der Sachverständige ist, der durch das Gericht mit dem Abfassen eines Gutachtens beauftragt wird. Ein junger Sachverständiger würde uns im Fall von Frau Vielmann vermutlich eher zustimmen als ein älterer: Für einen frisch ausgebildeten jungen Zahnarzt ist es selbstverständlich, Prophylaxe zu betreiben und die Parodontitis damit in den Griff zu bekommen. Alle neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen dafür. Ein älterer Zahnarzt dagegen, der schon seit 30 Jahren in seiner Praxis arbeitet, denkt darüber vielleicht noch anders.
    Die Parteien haben nur sehr begrenzt Einfluss darauf, wer als Sachverständiger bestellt wird. Und wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehne, nehmen sie den, den ich haben möchte, bestimmt nicht, weil der Gegner das nicht möchte. Das Gericht ist schließlich immer bemüht, einen Sachverständigen zu beauftragen, mit dem beide Parteien leben können. Ich kann auch den von dem Gericht vorgeschlagenen nicht vorher anrufen und ihn fragen, wie er den Fall sieht. Klage einzureichen war allein aus diesem Grund riskant. Ich schätzte die Chance zu gewinnen auf fifty-fifty.
    Ein weiteres Problem ist, dass es für Sachverständige oft schwierig ist, nachzuvollziehen, wann wir Juristen einen groben Behandlungsfehler als gegeben betrachten.
    Kürzlich hatte ich mit einem Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten zu tun, der einen Fall

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