Behandlungsfehler
weit sei er noch nicht. Er stellte noch eine Fülle von Zusatzfragen und beantragte einen Verhandlungstermin, zu dem auch der Sachverständige geladen werden sollte. Seine Zusatzfragen wurden zunächst im schriftlichen Verfahren durch eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen beantwortet, wobei das Ergebnis das Gleiche blieb. Er schmetterte die Argumente des Zahnarztes ab. Er blieb dabei: grober Behandlungsfehler. Ich rief den Kollegen an.
»Herr Kollege, nach diesem Gutachten könnten wir uns den Termin vor Gericht doch eigentlich schenken und uns vergleichen, oder?«
»Eigentlich sehe dafür gar keinen Grund. Aber nennen Sie mir doch mal einen Betrag.«
»Herr Kollege, entschuldigen Sie, aber das Gericht hat einen Vergleich vorgeschlagen. Wenn Sie mit dieser Summe nicht einverstanden sind, müssen Sie mir Argumente dafür an die Hand geben, die rechtfertigen, dass Sie weniger zahlen. Anders läuft das Geschäft nicht.«
»Ja, darüber muss ich mir wohl noch Gedanken machen.«
Und statt uns einfach zu vergleichen, trafen wir uns wieder vor Gericht. Der Sachverständige wurde geladen. Als ich ihn vor dem Gerichtssaal sitzen sah, sank mir das Herz in die Hose. Als dieser Mann seine Ausbildung gemacht hat, trugen vermutlich noch viele Menschen ein Gebiss. Ich ließ mir nichts anmerken, sondern plauderte nett. Wir redeten über die Vorzüge des iPhones und darüber, wie leicht es sei, diese eleganten Geräte zu bedienen. Und wir sprachen über den Wandel der Konventionen. Sein Vater musste bei Tisch noch stehen, erzählte er. Ich sah seine zitternde Hand und ahnte, dass es schwierig werden könnte. Ob dieser Sachverständige bei seiner Aussage bleiben würde? Aber zu ändern war jetzt nichts mehr.
Ich fragte ihn, wie er das Verhalten seines Kollegen beurteile? Er sei ein Mann der alten Schule und hätte gelernt, dass man mit der Bewertung der Arbeit von Kollegen sehr vorsichtig umgehen müsse, antwortete er mir. Ob die Behandlung des Zahnarztes denn bei ihm ein Kopfschütteln verursachen würde, fragte der Richter. Der Gutachter entgegnete, so etwas zu sagen, würde seiner Diktion nicht entsprechen. Was er denn dann dächte, wurde nachgefragt.
»Na ja, das war nicht richtig. Das war ein Fehler, den er gemacht hat.«
Dass es ein Fehler war, wussten wir alle. Aber war es ein grober Fehler?
»Was würden Sie denn zu einem jungen Assistenzarzt sagen? Würden Sie ihm die Ohren langziehen? Oder würden Sie sagen: Okay, das kann jedem Mal passieren?«
Schließlich ließ er sich dazu hinreißen zu sagen:
»Das war schon ganz schlimm.«
Zum Glück hakte das Gericht dann nicht weiter nach, sondern ließ es dabei ausnahmsweise bewenden. Der Richter schickte meine Mandantin, mit unserer Zustimmung, vor die Tür, um den Arzt unbefangen befragen zu können. Natürlich habe er Frau Vielmann umfangreich erklärt, was Parodontitis sei, und ihr gezeigt, wie man mit Zahnseide und einer Zwischenraumbürste umgehe. Er habe diese Mundhygiene auch kontrolliert und ihr gesagt, dass sie noch besser werden müsse. Auch von professioneller Zahnreinigung war die Rede. Ich versuchte, ihn in Widersprüche zu verwickeln, und fragte:
»Haben Sie denn jemanden in Ihrer Praxis, der das macht, die professionelle Zahnreinigung?« – »Nein, das mache ich selbst«, sagte der Arzt da.
In den Behandlungsunterlagen stand davon aber nichts. Der Zahnarzt verwies auf den Abrechnungszettel. Aber keine der dort aufgeführten Leistungen hätte er mit der Kasse abrechnen können. Und eine privatärztliche Rechnung gab es nicht. Glaubwürdig war er also nicht.
Die Klägerin wurde wieder in den Gerichtssaal gerufen und mit den Aussagen des Zahnarztes konfrontiert. Sie sagte:
»Nein, niemals. Wir haben uns ein einziges Mal über Zahnseide unterhalten. Aber ich habe nicht gewusst, was für eine Erkrankung ich habe, was ich dagegen tun kann, und was droht, wenn ich das unterlasse. Das alles habe ich erst bei dem neuen Zahnarzt erfahren«
Schließlich haben wir uns dann doch verglichen. Meine Mandantin war glücklich und bekam den Betrag, den sie aufbringen musste, um die lästige Prothese loswerden zu können. Keines ihrer Kinder musste dafür auf etwas verzichten und vielleicht würde sie eines Tages auch wieder ohne einen harten Zug um den Mund herum sprechen können.
Schmerzensgeld ist besonders bei Zahnarztfällen ein schwieriges Thema. Bei einer meiner Mandantinnen war der Zahnraum aufgrund eines Behandlungsfehlers zwei Jahre lang
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