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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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mir einer begegnete. Dazu kam meine Sensationsgier. Ich fand es spannend, mit Blaulicht durch die Stadt zu rasen. Andere Menschen müssen fernsehen, als Notarzt ist man selbst mitten im Geschehen.
    Als ich das erste Mal im Einsatz war, hatte ich ein komisches Gefühl im Magen. Das geht wohl allen jungen Ärzten so. Man weiß nicht, was auf einen zukommt. Man weiß nur, dass es höchstwahrscheinlich um Leben und Tod geht. Sonst würde man nicht mit dem Notarztwagen ausfahren. Ich war Ende 20 und ich hatte großes Glück, denn ich war mit ganz hervorragenden Sanitätern unterwegs. Sie waren alte Hasen und nicht mehr nervös, sondern wussten, was zu tun ist. Und: Sie mochten mich. Während ich Adrenalin ausschüttete und ziemlich aufgelöst war, sagten sie: »Doktorchen, die Braunüle brauchen Sie jetzt, wir legen schon mal ein EKG an.« Sie gingen bei den Einsätzen immer vor. Wenn sie sahen, dass der Notfall kein Notfall mehr war, sagten sie: »Doktorchen, du musst da nicht mehr hineingehen. Komm, wir fahren weiter.« Der erste Arzt, der bei einem Toten eintrifft, muss die Leichenschau machen. Das wollten sie mir damit ersparen. Irgendwann wird man ruhiger, weil man weiß, man kann sich zunächst auf seine Sanitäter verlassen, bis man sich auf sich selbst verlässt.
    Dann kam ein Einsatz, den ich nicht vergessen werde. Ein Arzt hatte uns gerufen, in seiner Praxis war einer seiner Patienten kollabiert. Als wir vor Ort ankamen, stand der Arzt vor der Praxis auf der Straße. Er winkte, damit wir möglichst schnell in seine Räume kämen. Derweil hatte er den Patienten allein gelassen. Ich habe mich gefragt, lieber Arzt, was machst du hier auf der Straße? Du solltest besser bei deinem Patienten sein. Du könntest schon eine Braunüle legen – das ist ein vorübergehender Zugang meist am Unterarm, durch den man Infusionen und Medikamente injizieren kann, damit
dann sofort alles schnell geht. Aber der Arzt war einfach überfordert und dadurch wie gelähmt. Genau aus diesem Grund bin ich Notarztwagen gefahren: Ich wollte, dass mir so etwas nicht passiert.
    Ich habe auch in der Notaufnahme gearbeitet. Einmal brachten die Sanitäter uns einen Mann, der Blut spuckte. Wir haben Blutdruck gemessen, die Braunüle und eine Infusion angelegt, Blut abgenommen und die Endoskopie angerufen. Wir wollten in den Magen schauen. Wir nahmen an, dass er eine Magenblutung hatte, und es galt zu klären, ob das stimmte und was wir tun konnten. Er wirkte grau und hatte einen Hämoglobinwert von 4,2 – bei Männern sind Werte zwischen 14 und 16 normal. Er musste also schon viel Blut verloren haben. Aber er war stabil, woraus wir schließen konnten, dass er schon länger blutete und nicht erst seit kurzer Zeit. Wir brachten ihn in die Endoskopie. Die Oberärztin kam und bereitete alles vor. Da kollabierte der Mann, sein Herz stand still. In der Endoskopie gab es keinen Reanimationswagen. Wir riefen die Intensivstation an. Die war nicht weit weg, aber es verging doch einige Zeit, bis die Ärzte mit dem Reanimationsteam vor Ort waren. Wir konnten den Patienten nicht retten. Er ist gestorben – ein gutaussehender Mann um die 40. Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Wir hatten uns nichts vorzuwerfen, wir hatten nach dem ärztlichen Standard gehandelt. Aber in Zukunft würde ich in einem solchen Fall den Patienten für die Magenspiegelung auf die Intensivstation verlegen. Ich weiß nicht, ob er dann nicht gestorben wäre, aber ich hätte zumindest das Gefühl, alles, was möglich ist, getan zu haben. Das Beispiel zeigt, dass Medizin eben auch ganz gewaltig von der persönlichen Erfahrung abhängt.

    Als Dr. Kirchhoff meinen Rat suchte, war ihm sonnenklar, dass er alles richtig gemacht hatte. Er sah meine Aufgabe darin, das durchzusetzen, den Anspruch zu Fall zu bringen. Aber obwohl jedem Menschen mit gesundem Verstand sofort
einleuchten musste, dass er im Recht war, war diese Aufgabe doch schwierig.
    Es ging um eine Hammerzehe: Der große Zeh am linken Fuß seiner Patientin war krallenartig gebeugt. Vermutlich hatte die Frau, zusätzlich zu ihrer persönlichen Veranlagung für eine solche Ausformung, zu lange die falschen Schuhe, also hochhackige Pumps, getragen. Die Patientin hatte starke Schmerzen, als sie endlich zum Arzt humpelte. Die hatte sie nicht erst seit ein paar Tagen, schließlich entsteht so eine Hammerzehe nicht von heute auf morgen. Oben auf dem Gelenk hatte sich schon lange eine Druckstelle gebildet. Der Fuß passte in

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