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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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seiner Wut auf den Arzt. Der hätte ihm sagen müssen, dass er noch eine Weile zeugungsfähig sein würde.
    »Haben Sie sich überlegt, ob Sie das Kind abtreiben lassen?« , fragte ich nach. »Dafür war es schon zu spät«, sagte Christoph Mahler. »Insofern mussten wir uns darüber keine Gedanken machen. Hatten wir trotz unseres Risikospiels zuvor aber auch nicht.« Als die Regel ausblieb, hatte seine Freundin sich weiter nichts dabei gedacht. »Meine Freundin hatte schon lange unregelmäßig ihre Regel und wir dachten, wir seien auf der sicheren Seite. Es ist uns wirklich nicht der Gedanke daran gekommen, dass sie wieder schwanger sein könnte. Gut, morgens stellte sich ab und zu eine leichte Übelkeit ein, aber auch das haben wir nicht als Schwangerschaftsanzeichen gewertet. Meine Freundin war gerade auf Diät.« Sie schob die Übelkeit auf die umgestellte Ernährung. Dann war ihre Vorsorge wieder einmal fällig. Sie machte einen Termin bei ihrem Frauenarzt. Der gratulierte ihr zur Schwangerschaft. Sie war schon in der zwölften Woche. Für einen Abbruch war es zu spät.
    Seither hatten sie viel nachgedacht: Würde, wo für ein Kind Platz ist, auch ein zweites satt? Mussten sie jetzt das ganze, gefügte Leben noch einmal aufreißen? Ein größeres Haus suchen, ein größeres Auto, und, weil beides mehr Geld kostet, auch eine besser bezahlte Arbeit anstreben? Ihnen gefiel ihr Leben, so wie es war, auch die Perspektive, aber nicht mit einem weiteren Kind. Irgendjemand würde die nächsten 18 Jahre oder länger für das Kind zahlen müssen. Christoph Mahler fand, dass der Arzt, der offensichtlich maßgeblich mit daran beteiligt war, dass dieses Kind zur Welt kam, auch für dessen Unterhalt aufkommen müsse.
    Ich analysierte den Fall juristisch. Wo der Behandlungsfehler lag, schien klar: Der Arzt hatte seine Pflicht zur Sicherungsaufklärung
verletzt. Er hätte Herrn Mahler natürlich darüber informieren müssen, dass eine Zeugung in der nächsten Zeit nicht ausgeschlossen ist. Diese Verletzung der Aufklärungspflicht gilt als Behandlungsfehler. Der Arzt müsste für die dadurch verursachte wirtschaftliche Belastung haften, für die Aufwendungen für das Kind.
    Der Schaden ist nicht das Kind, sondern die Aufwendungen für dieses. Ein Kind kann niemals einen Schaden darstellen. Die Haftung des Arztes ist nicht davon abhängig, ob die Eltern verheiratet sind oder in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben, und auch nicht davon, ob die Familienplanung der beiden abgeschlossen ist. Auch wenn es hypothetisch noch möglich ist, dass etwa nach einer beruflichen Konsolidierung ein Kinderwunsch auftaucht, kann der Arzt dazu verurteilt werden, für das Kind Unterhalt zu zahlen. Mir fiel ein Urteil ein, in dem es hieß: »Eine Ersatzpflicht des Arztes besteht in derartigen Fällen auch dann, wenn die gegenwärtige berufliche und wirtschaftliche Planung der Mutter durchkreuzt wird und die zukünftige Planung nicht endgültig absehbar ist. Eine abgeschlossene Familienplanung in dem Sinne, dass auch die hypothetische Möglichkeit eines späteren Kinderwunsches völlig ausgeschlossen sein muss, bedarf es nicht.« Juristisch hatten wir also durchaus eine sehr gute Chance. Ref 12
    Ich spürte, wie sich alles in mir dagegen wehrte, ein Verfahren anzustrengen. Nicht immer ist, was juristisch durchaus machbar erscheint, auch menschlich richtig. Ref 13
    Ich sah, wie Herr Mahler litt. Wie tief zerrissen er war. Die Sterilisation hatte ihn in eine tiefe Depression gestürzt. Dieses »Ich wollte dich nicht, und jetzt bist du da« hatte ihn zusätzlich bedrückt. Dazu kam die – in der Schwangerschaft medizinisch völlig unbegründete – Sorge, das Kind könne durch die Sterilisation geschädigt worden sein. Schließlich sei sein Samen nicht mehr so frisch gewesen. Das Ultraschallbild in der Schwangerschaft war zwar in Ordnung, aber konnte man darauf alles sehen? Und dann war die Geburt selbst auch
noch ein Desaster, weil die Wehen überraschend viel zu früh und deutlich zu heftig einsetzten, die Fruchtblase platzte. Er hatte den Rettungswagen gerufen, der seine Freundin in die falsche Klinik fuhr, also in eine, in der sie nicht zur Geburt angemeldet war. Dort hatte man keinen Platz für sie und sie wurde weitergeschickt. Fast wäre das Kind unterwegs auf der Liege im schaukelnden Krankenwagen auf die Welt gekommen. Kurz: Die ganze Situation hatte ihn emotional so überfordert, dass er kaum noch handlungsfähig war.
    Ich stellte

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