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Behandlungsfehler

Behandlungsfehler

Titel: Behandlungsfehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Konradt
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keine High Heels mehr. Dr. Kirchhoff hatte schon oft Hammerzehen operiert. Er wusste, was zu tun war: Er röntgte den Fuß, zeigte seiner Patientin das Bild und besprach mit ihr die Operationsmethode, die seiner Meinung nach am geeignetsten war, das Problem zu lösen. Er beschrieb die Risiken, benannte mögliche Komplikationen. Sie einigten sich, die Operation zu wagen, und verabredeten einen Termin. Nach der Operation, sagte er, müsse sie sich etwa vier Wochen Zeit nehmen und den Fuß nicht belasten. Danach könnte sie wieder relativ normal und schmerzfrei laufen.
    Bei dieser Gelegenheit lud sie ihn zu ihrer Goldenen Hochzeit ein und er vermerkte den Termin in seinem Kalender. Er hätte Stopp sagen sollen, als er sah, dass der Termin für die Operation auf den Tag vor der Goldenen Hochzeit seiner Patientin fiel. Aber er kannte die Frau. Er wusste, dass sie selbst Ärztin ist. Aus ihrer Hausarztpraxis hatte sie öfter Patienten für Operationen an ihn überwiesen – als niedergelassener Chirurg machte er vor allem so »kleine Sachen«, wie er das nennt: Leistenbrüche, Zysten, hier und da eine kleine Schönheitsoperation. Er hatte gern mit der Kollegin zusammengearbeitet und sie immer als kompetent erlebt. Er dachte: Die ist schon so lange Ärztin, die weiß, was sie tut. Am Tag vor der Operation kam die Patientin in seine Praxis, um die Anästhesie zu besprechen. Als sie zufällig aufeinandertrafen erklärte sie, dass die Feier ein tolles Fest werden wird. Kollegen
und Freunde würden kommen, sicherlich so an die 70 Personen. Sie war schon ganz aufgeregt. Dr. Kirchhoff konnte das, was er hörte, kaum glauben. Er fragte, ob sie den Termin für die Operation nicht lieber verschieben wolle. Schließlich dürfe sie den Fuß nach der Operation nicht belasten. Sie müsse zwei Gehstützen benutzen, jeder Weg wäre anstrengend. Und wenn so viele Menschen im Haus sind, würde es ihr sicher schwer fallen, sich zu schonen. Aber sie erklärte ihm: »Nee, nee, Herr Kollege, das geht schon, seien Sie da mal ganz unbesorgt.«
    Die Operation verlief wie geplant. Am Abend konnte Dr. Kirchhoff seine Patientin nach Hause entlassen. Da er Feierabend hatte und ihre Wohnung auf seinem Weg lag, nahm er sie mit. So konnte er sehen, dass sie erstaunlich geschickt mit den Gehstützen hantierte. Er dachte: Na, hoffentlich geht das gut. Doch als er am nächsten Tag zum Hausbesuch vorbeikam, öffnete sie ihm humpelnd die Tür. Sie stützte sich nur noch auf einen Stock. Der Fuß war überwärmt und gerötet. Es war seines Erachtens eindeutig, dass sie sich schon den ganzen Tag entgegen seiner Anweisung verhalten hatte. Und es war für ihn auch klar, dass sie es am Abend, wenn die Gäste kamen, nicht anders halten würde. Dr. Kirchhoff riet ihr dringend, sich in einer Klinik stationär behandeln zu lassen. Der Fuß zeigte Anzeichen einer Entzündung, sie durfte auf keinen Fall weiter damit herumlaufen und schon gar nicht ein Fest mit 70 Gästen veranstalten. Doch die Patientin lehnte vehement ab. Sie wisse, was sie tue. Schließlich sei sie Ärztin. Immerhin konnte er sie wenigstens noch dazu überreden, ein Antibiotikum einzunehmen.
    Bei seinem Hausbesuch am nächsten Tag hatte sich die Entzündung bis in den Unterschenkel ausgebreitet, aber die Patientin wollte noch immer nicht in die Klinik. Dr. Kirchhoff versorgte die Wunde lokal. Erst zwei Tage später ging die Frau ins Krankenhaus. Sie wurde mehrfach operiert, Haut wurde transplantiert und schließlich der Vorfuß amputiert. Sie muss künftig ohne Zehen laufen. Es war furchtbar. Und,
so Dr. Kirchhoff: Es wäre vermeidbar gewesen. Ein kleines bisschen Verstand hätte gereicht und die Wunde wäre voraussichtlich ganz normal verheilt. Dass man auf einem frisch operierten Fuß nicht herumtanzen kann, ist so klar, dass selbst Nichtmediziner es in aller Regel begreifen. Dr. Kirchhoff hatte nicht einmal seine Haftpflichtversicherung informiert. Er ging davon aus, dass die Patientin wusste, dass der Fehler bei ihr lag. Schließlich war sie nicht in die Klinik gegangen. Doch dann kam das Anspruchsschreiben. Er brauchte meinen Rat.
    Was der Mandant erzählt, ist die eine Sache. Was ich beweisen kann, die andere. Das musste ich prüfen. Aus den Behandlungsunterlagen war nicht viel zu holen. Mir lagen der Aufklärungsbogen, das Röntgenbild, die Verordnung des Antibiotikums und die Beschreibung des Lokalbefundes vor. Das war alles soweit korrekt, aber damit konnte ich überhaupt nichts beweisen.

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