Behandlungsfehler
aufgezogen lag? Dafür müsste er zumindest die Hygienepläne einsehen können – und ob er da etwas über die Spritze finden würde, ist fraglich. Zudem: Es existiert keine Vorschrift, die ihm dieses Recht gewährt.
Allein die Tatsache, dass er im Krankenhaus eine Infektion erlitten hat, reicht als Beweis nicht. Im Zweifel steht dann Aussage gegen Aussage. Auch wenn der Kläger sagt, dass der Arzt nicht mit Handschuhen gearbeitet und er deshalb die Infektion bekommen hat – in dem Moment, wo der Arzt das abstreitet und sagt: »Ich arbeite immer mit Handschuhen. Was kann ich dafür, wenn Dich Keime krank gemacht haben. Die
gibt es immer«, bestehen Zweifel. Da der Kläger im Normalfall keine weiteren Beweise vorlegen kann, kann das Gericht nicht wissen, was zutrifft. Ob nun tatsächlich mit Handschuhen gearbeitet wurde oder nicht, das spielt keine Rolle, denn der Kläger hat das Gericht nicht überzeugen können, dass der Arzt wirklich ohne Handschuhe gearbeitet und damit tatsächlich einen Hygienestandard verletzt hat. Die Zweifel des Gerichts wirken zu Ungunsten des Patienten. Die Richter werden die Klage abweisen.
Der Sachverhalt ist nicht aufgeklärt, er ist, wie wir Juristen das nennen, »non liquet«. Dass die Klage abgewiesen wird, heißt nicht, dass das Gericht dem Arzt glaubt, dass er mit Handschuhen gearbeitet hat. Es wendet lediglich eine allgemeine Regel der Zivilprozessordnung zur Beweislastverteilung an. Das ist auch im folgenden Fall passiert. Er zeigt, wie ungleich die Waffen zwischen medizinischer Einrichtung und Patient verteilt sind. Ref 20
Eine Patientin hatte sich einer ambulanten Darmspiegelung unterzogen, war anschließend im Krankenhaus operiert worden und hatte sich mit Hepatitis C infiziert. Diese Infektion wird meist durch Blut übertragen, kann aber auch auf anderen Wegen erfolgen. Hepatitis C ist eine chronische Krankheit, die die Leber schädigt und zu Zirrhose oder auch zu Leberzellkrebs führen kann. Die Patientin erklärte, dass die Infektion durch einen Verstoß gegen Hygienevorschriften verursacht worden sei, und beanspruchte Schadenersatz.
Der Sachverständige, ein Gastroentero- und Infektiologe, sagte, dass die Infektionsquelle in dem Krankenhaus zu suchen sei. Aus dem Auftreten der Infektion könne aber nicht geschlossen werden, dass Hygienestandards verletzt worden seien, da der Infektionsweg bis heute nicht sicher bekannt sei. Die Klage wurde abgewiesen.
Es bleibt die Frage, auf welchem anderen Weg die Patientin sich während des Klinikaufenthaltes mit Hepatitis C hätte infizieren können. Das Krankenhaus hatte vorgetragen, dass eine Infektion durch das Personal ausgeschlossen sei, da
die Mitarbeiter alle Hepatitis C negativ seien. Sexualkontakte konnten während des stationären Aufenthaltes ausgeschlossen werden, die eigene Verwendung von Spritzen sicherlich auch, ein Drogenkonsum dürfte auch nicht bestanden haben und eine Bluttransfusion fand nicht statt. Übrig bliebe nur der Kontakt zu von dem Keim besiedelten Materialien, wie Tische, Operationsbesteck oder ähnliches. Die Desinfektion von Tischen ist dem voll beherrschbaren Bereich der Klinik zuzuordnen und hätte damit dazu führen müssen, dass die Hygienepläne und ihre Dokumentation hätten vorgelegt werden müssen. Dies war aber nicht der Fall.
Der Gesetzgeber hat das Infektionsschutzgesetz zum 29. August 2011 novelliert. Es soll einen länderübergreifend einheitlichen Hygienestandard schaffen, der sich an den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts misst. Die Einrichtungen müssen sicherstellen, dass innerbetriebliche Verfahren zur Infektionshygiene in Hygieneplänen festgelegt sind. Eine Dokumentation der Maßnahmen ist zwingend und wird durch Aufsichtsbehörden überwacht. Aber was nützt das alles dem Patienten, der eine Krankenhausinfektion erlitten hat? Ref 21
Ich glaube, wir müssen juristisch umdenken. Wenn wir die Hygiene als voll beherrschbares Risiko begreifen, so muss in dem Moment, wo feststeht, dass der Patient eine exogene Krankenhausinfektion erlitten hat – also nicht mit einem eigenen Keim infiziert wurde, sondern mit einem, der aus dem Krankenhaus stammt –, der Arzt den Beweis antreten, dass er alles entsprechend dem Hygienestandard getan hat, um diese zu vermeiden. Er, und nicht der Patient, wird dann darlegen und beweisen müssen, dass die medizinische Einrichtung die Hygienestandards eingehalten und dies auch dokumentiert hat. Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht.
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