Behandlungsfehler
sie ungefähr 25-mal operiert worden. Es wurde gespült und drainiert, versucht den porösen Knochen zu stabilisieren. Sie sitzt nunmehr im Rollstuhl, ohne Chance jemals wieder ohne diesen auszukommen. Kurz vor der Operation hatte sie sich von ihrem Ehemann getrennt. Er bekam das Sorgerecht für die Kinder, weil sie diese aus dem Rollstuhl heraus nicht adäquat versorgen kann. Darüber hinaus wurde sie schwer depressiv. Sie konnte nicht mehr arbeiten.
Für die Oma, die Mutter der Patientin, war das besonders schlimm: die Enkelkinder hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Jetzt kämpfte sie vor Gericht. Damit sind neue Probleme aufgetreten. Die Patientin hatte keine Rechtsschutzversicherung, die Rücklagen waren aufgebraucht. Ein Verfahren, um die Ärzte haftbar zu machen, wollte die Frau deshalb nur führen, wenn es Aussicht auf Erfolg hätte. Doch die Rechtslage war schwierig und der Ausgang ungewiss.
Zu den nosokomialen Infektionen gehören auch Infektionen, bei denen der Patient sich selbst mit einem eigenen Keim infiziert hat, aber während des Krankenhausaufenthalts. Diese endogenen Infektionen machen rund zwei Drittel der Fälle
aus. Bei den endogenen Infektionen hat der Patient selbst den Keim, der dann an anderer Stelle zu einer Infektion führt. Meist handelt es sich bei diesen Erregern um Darmkeime. Dr. Nassauer erklärte, dass es mehr Darmkeime als Zellen in einem menschlichen Körper gibt. Schneidet man nun die Haut auf, fasst man selbst die Wunde an, so kann es zu einer Infektion mit den eigenen Keimen kommen, die schicksalhaft eine Infektion verursachen.
Als »voll beherrschbares Risiko« fasst die Rechtsprechung und Literatur den Bereich der Krankenhausinfektionen bei den exogenen Infektionen zusammen. Das sind die Infektionen mit Keimen, die zum Beispiel vom Personal auf den Patienten, also von außen, übertragen werden. Aber voll beherrschbar sind die Keime nicht. Man kann die Zahl der Keime und der Infektionen verringern, aber ein Krankenhaus oder eine Praxis keimfrei zu machen ist unmöglich. Das ist ähnlich wie beim Zähneputzen. Dabei werden die Keime auch nur reduziert, aber nicht ausgerottet. Karies kann man auch bekommen, wenn man regelmäßig die Zähne putzt. Wenn bei einer medizinischen Behandlung eine Infektion auftritt, kann daher nicht grundsätzlich angenommen werden, dass ein Sorgfaltsverstoß vorliegt, der eine Haftung der medizinischen Einrichtung begründen würde. Das wäre auch viel zu leicht. Ref 17
Der Bundesgerichtshof hat 1991 entschieden, dass Krankenhausinfektionen, die sich trotz der Einhaltung der gebotenen hygienischen Maßnahmen ereignen, zum schicksalhaft hinzunehmenden Risiko des Patienten gehören. Eine Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn die Einhaltung der hygienischen Maßnahmen diese hätte verhindern können. Aber wer kann das schon sagen? Manche Menschen kommen mit Keimen in Berührung und werden nicht krank, andere schon. Gerade kranke, alte, geschwächte Menschen können leichter krank werden. Das ist wie auch bei allen anderen Infektionen: Manch einer bekommt jeden Schnupfen, der andere keinen. Ref 18
Aber das Krankenhaus als medizinische Einrichtung hat für Hygiene zu sorgen, sie muss alles tun, um die Keine zu reduzieren und Infektionen zu vermeiden. Die Patienten können erwarten, dass das geschieht. Keiner würde sich in der Currywurst-Bude operieren lassen, weil diese dafür unzweifelhaft zu unhygienisch ist. Ref 19
Wenn die Klinik oder die Arztpraxis Vorschriften zur Hygiene verletzt und damit sorgfaltswidrig handelt, so gilt dies als Behandlungsfehler. Und der wird fast regelhaft als grob bewertet. Der Verursacher muss dann beweisen, dass die Infektion, auch wenn man die Hygiene eingehalten hätte, vermieden worden wäre. Das kann der Klinik kaum gelingen.
Es gibt viele Urteile dazu. Schon 1968 hat sich der Bundesgerichtshof mit einem solchen Fall befasst: Da lag eine Spritze über Nacht offen herum und wurde am nächsten Morgen zur Injektion verwendet. Auch, wenn die Hände nicht desinfiziert werden oder der Arzt nicht wartet, bis das Desinfektionsmittel wirkt, haftet der Krankenhausbetreiber.
Der Patient hat aber die Beweislast für den Hygienefehler. Er muss das Gericht davon überzeugen, dass dem Arzt oder der medizinischen Einrichtung ein Hygienefehler unterlaufen ist. Das ist problematisch. Meist ist er während der Behandlung allein. Woher soll er wissen und wie soll er nachweisen, dass die Spitze da schon seit längerem
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