Behandlungsfehler
Wagen hinten drauffahren, Sie sind zunächst schuld. Für einen Patienten ist es sehr beruhigend zu wissen, dass das Krankenhaus dafür sorgen muss, dass alle Abläufe zuverlässig funktionieren. Für das Krankenhaus wird das umso schwieriger je komplexer die Abläufe werden. Die Haftung ist hier schon fast vorprogrammiert.
Oft sind es kleine Versäumnisse, die großen Schaden auslösen: In einem Fall von Organisationsverschulden hatte der Arzt bei einem Patienten im Krankenhaus Blut abgenommen. Aber am nächsten Morgen war der Laborbefund nicht da. Warum nicht? Weil die Befunde im Haus verteilt werden müssen, und die Laborergebnisse an irgendeiner Verteilerstation liegengeblieben waren. Die Laborwerte hätten gezeigt, dass eine massive Entzündung vorlag, die man sofort hätte behandeln müssen. So ist das unterblieben. Die Tatsache, dass die Entzündung nicht behandelt wurde, weil die Laborwerte nicht auf der Station ankamen, stellt einen eindeutigen Behandlungsfehler dar. Und der ist auf ein Organisationsverschulden zurückzuführen.
Diese Dinge passieren einfach. Der Mann, der normalerweise die Befunde des Labors im Krankenhaus austeilt, war krank. Man hätte prüfen müssen, ob die Vertretung die Arbeit auch richtig ausführt.
Einen anderen Fall hat ein Gericht entschieden. Betroffen war ein ambulant tätiger Gynäkologe und Geburtshelfer. Seine Patientin hatte eine unkomplizierte Schwangerschaft. Es war vereinbart, dass die Geburt in der Praxis des Gynäkologen stattfindet, in der auch eine Hebamme und ein Anästhesist angestellt sind. Die wären bei Komplikationen schnell zur Stelle. Eines Abends hatte die Patientin einen vorzeitigen Blasensprung und eilte in die Praxis. Die Herztöne des Kindes wurden immer schwächer. Der Geburtshelfer war gleich zur Stelle und entband das Kind mit der Saugglocke. Es starb. Aus fachlicher Sicht hätte der Arzt das Kind mit einem Kaiserschnitt holen müssen. Aber der Anästhesist hatte schon Feierabend. Er war nicht mehr in der Praxis und telefonisch nicht zu erreichen. Das Gericht befand, dass dies ein Fall von Organisationsverschulden war. Der Gutachter hat festgestellt, dass das Kind gesund überlebt hätte, wenn es rechtzeitig entbunden worden wäre. Der Arzt wurde verurteilt, den Eltern Schadenersatz zu leisten.
Dass die Klingel nicht funktioniert oder auf die Klingel keiner reagiert, kommt häufiger vor. Gerade habe ich drei solcher Fälle, bei zweien bin ich im Verfahren. Den Patienten wurde gesagt, dass sie auf keinen Fall aufstehen und allein zur Toilette gehen dürfen. Sie klingelten und keiner kam. Sie sind aufgestanden und gestürzt. Bei einem haben die Angehörigen erklärt: Unsere Mutter war nach der Operation total verwirrt, die Schwestern hätten ein Bettgitter anbringen müssen, damit sie sich nicht selbst gefährdet. Unsere Rechtsprechung ist aber mittlerweile sehr restriktiv geworden, was diese Bettgitter betrifft. Das geht nur unter ganz bestimmten Bedingungen, denn letztlich nehmen sie dem Patienten die Freiheit.
Wenn auf ein Klingeln nicht zügig reagiert wird, führt das zuweilen zu eigenwilligen Reaktionen. Ein Mandant hatte seine Frau in der Reha-Klinik besucht und dabei festgestellt, dass die Pflegerinnen oft nicht kamen, wenn seine Frau klingelte. Nach fünf, sechs Minuten war immer noch keiner da. Die Schwestern saßen zusammen und rauchten. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man damit umgeht. Dieser Mann war Ingenieur, schon älteren Jahrgangs und ziemlich penibel. Er hat als erstes die Schwestern beim Rauchen fotografiert, um den Fall zu dokumentieren. Er hat seinen Ärger den anderen Patienten mitgeteilt und sie gebeten, eine Statistik zu führen: Wie lange dauert es ab dem Klingeln bis jemand erscheint, und zu welchen Zeiten brauchen die Schwestern besonders lange? Er hat sogar ein Formular dafür entwickelt, in dem alle die Uhrzeiten vermerken konnten. Das hat er schließlich ausgewertet und um ein Gespräch mit dem Chefarzt gebeten. Das Gespräch muss relativ unangenehm gewesen sein. Zumal der Arzt für das Pflegepersonal nicht zuständig ist. Es folgten Übertragungsmechanismen, die Schwestern und die Ärzte haben seine Frau nicht mehr besonders gern behandelt. Leidtragende war am Ende die Patientin. Ich finde das verständlich – auch wenn mein Mandant in der Sache sicher recht hatte.
Es kommt häufiger vor, dass Mandanten möchten, dass ich aktiv in ein Geschehen eingreife und, wie sie sagen: »Die Ärzte auf Trab
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