Behandlungsfehler
beschäftigt. Seither rate ich allen Patienten, sich nach den Hygienestandards zu erkundigen und erst anschließend zu entscheiden, in welche Klinik sie gehen.
Sonderfall: Sterbehilfe
I n meinem Beruf komme ich oft an Grenzen. Manchmal auch an meine eigenen. Ich bin ein optimistischer Mensch – und ich will gewinnen. So versuche ich meine Fälle frühzeitig abzuklopfen, um die Chancen gut einschätzen zu können. Meine und die meiner Mandanten. In vielen Punkten gelingt es mir, meine persönliche Einstellung auszuschalten. Es muss nicht in meinem Sinne sein, sondern zum Wohle meiner Mandanten. Doch manchmal scheitere ich doch daran.
Der Fall von Peter Schulten war so ein Scheitern. Er kam zu mir in die Kanzlei. Grau und gebeugt. Man sah sofort, dass eine schwere Last auf seinen Schultern lag. Er bat mich, für seine Frau Sterbehilfe einzuklagen. Von seinem Standpunkt aus erschien das nachvollziehbar. Mehr als zehn Jahre lang hat Peter Schulten seine Frau zu Hause gepflegt, nach einem Unfall war sie schwerbehindert, körperlich und geistig. Allein konnte sie nichts mehr, nicht essen, nicht sitzen, nicht sprechen. Ob sie überhaupt wahrnahm, dass Peter Schulten da war, wusste er nicht. Von der Frau, die er einmal geheiratet hatte, war nur noch eine Hülle übrig geblieben.
Ich traf eine – auch für mich eher ungewöhnliche – Entscheidung. Ich wollte die Frau sehen, bevor ich irgendetwas tat. Peter Schulten stimmte zu und gemeinsam fuhren wir zu ihm nach Hause. Seine Frau saß im Sessel, der Fernseher lief und ich hatte das Gefühl, dass sie mich fixierte und mir mit ihren Augen folgte. In diesem Moment wusste ich, ich konnte
das nicht und mache das nicht. Trotz allem Verständnis für ihn. Denn was war mit ihr? Ich weiß nicht, vielleicht lebt sie jetzt in ihrer ganz eigenen Welt und vielleicht ist diese Welt viel schöner als die, in der sie vorher lebte. Ich kann doch nicht sagen: Dieses Leben ist lebenswert und jenes nicht. Ich habe seinen Wunsch abgelehnt. Aber ich habe noch viel darüber nachgedacht und denke bis heute oft an die beiden.
Es bringt mich zu der Frage, was die Medizin darf. Und auf der anderen Seite – was muss Medizin? Und wer entscheidet, was erlaubt ist und was nicht? Ich als Anwältin? Die Gesetze? Oder eben doch jeder, so wie er es für richtig hält? Manches, was das Gesetz erlaubt, kann ich nicht vertreten. Möchte ich auch nicht. Das sind meine Grenzen und die nehme ich ernst. Sterbehilfe ist so ein Thema. Ich konnte diesem Mann nicht helfen, weil mein Denken, meine Einstellung dazu eben eine andere ist. Ich wollte die Erfolgsaussicht nicht prüfen. Ref 22
Wir können uns das Leben nehmen. Wir können über unser Leben bestimmen. Aber wir können nicht über unser Leben verfügen. Wir können nicht sagen, wir wollen jetzt sterben und einen Dritten dafür bestimmen, dass er das durchführt. Rechtlich ist die Sachlage eindeutig geregelt. Der Suizid ist nicht strafbar. Beihilfe zum Suizid ist daher auch nicht strafbar, weil der Suizid als solcher nicht strafbar ist. Aktive Sterbehilfe – Sterben auf Verlangen – ist verboten und meiner Meinung nach ist das gut so. Weil es zum einen die Patienten schützt und zum anderen eben auch den Arzt vor der Forderung von Patienten und deren Angehörigen.
Der Bundesgerichtshof hat das ganz eindeutig formuliert. »Auch bei aussichtsloser Prognose darf Sterbehilfe nicht durch gezieltes Töten, sondern nur entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen durch die Nichteinleitung oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen geleistet werden, um dem Sterben – gegebenenfalls unter wirksamer Schmerzmedikation – seinen natürlichen, der Würde des Menschen gemäßen Verlauf zu lassen.«
Passive Sterbehilfe ist dementsprechend erlaubt. Ich denke, wenn man die therapeutischen lebensverlängernden Maßnahmen einstellt, ohne dass der Patient in irgendeiner Weise leidet, weil er das so will und es keine Chance gibt, dass er überlebt, ist das in Ordnung. Doch eben nur nach ganz klaren Regeln. Das heißt, dass wir ihm entsprechende Opiate verordnen, ihn mit Flüssigkeit versorgen, kein Kortison und keine Antibiotika mehr verabreichen, die den tödlichen Behandlungsverlauf aufhalten oder verlangsamen würden und ihm auch im Zweifelsfall kein Essen mehr geben – solche Patienten haben kein Hungergefühl mehr, aber sie haben Durst. Wenn wir sie trinken lassen und sie schmerzfrei stellen, ist das akzeptabel und menschenwürdig. Und
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