Behemoth - Im Labyrinth der Macht
Trockenobst, an Spießen, die sich langsam drehten, wurde Fleisch gegrillt. Rostrote oder leuchtend gelbe Gewürze bildeten Häufchen auf den Tischen, hellgrüne hingegen befanden sich in Säcken, die mindestens so groß wie Futtersäcke waren. Kräftige, fremdartige Gerüche wehten durch den Motorengestank heran und hingen so schwer in der Luft, dass Deryn sie geradezu auf der Zunge schmecken konnte – wie den Dunst in einem Gewächshaus für Schöpfungen.
Jetzt begriff Deryn auch den Sinn des Rüssels. Während die Maschine durch die Menge rumpelte, schwenkte der Rüssel sanft von rechts nach links und stupste Fußgänger aus dem Weg. Die Finger des Piloten auf dem Howdah huschten flink über die Steuerung. Er schob Karren zur Seite und rettete einmal sogar ein Kinderspielzeug, das auf den Boden gefallen war und sonst unter den Riesenfüßen des Läufers zerquetscht worden wäre.
Andere Läufer zogen Wagen durch die Straßen. Die meisten Laufapparate sahen aus wie Kamele oder Esel, und einer hatte die Gestalt eines gehörnten Tieres, das Eddie Malone als Wasserbüffel bezeichnete. Ein metallener Skarabäus in Omnibusgröße beförderte Menschen durch das Gedränge.
In einer schmalen Seitengasse entdeckte Deryn zwei Läufer, die der Gestalt von Menschen nachempfunden waren. Sie ragten beinahe so hoch auf wie der Unerschrockene , hatten stämmige Beine, lange Arme und leere Gesichter. Dazu waren sie mit bunten Tüchern und fremdartigen Symbolen geschmückt, hielten jedoch keinerlei Waffen in den riesigen Klauenhänden.
»Sind das Läufer der Armee?«, fragte Deryn den Reporter.
»Nein, das sind eiserne Golems. Die bewachen das jüdische Viertel.« Malone umfasste die Menschenmenge mit einer Geste. »Die meisten Osmanen sind Türken, aber Istanbul ist ein Schmelztiegel. Hier leben nicht nur Juden, sondern auch Griechen, Armenier, Venezianer, Araber, Kurden und Walachen.«
»Donnerlittchen«, sagte Newkirk. »Die Hälfte der Namen habe ich noch nie gehört.«
Der Mann lächelte und kritzelte etwas in sein Notizbuch. »Und jede Volksgruppe hat eigene Kampfläufer, damit der Frieden gewahrt bleibt.«
»Klingt aber so, als würde niemand dem Frieden trauen«, murmelte Deryn und beobachtete die Straße. Die Menschen trugen ein Dutzend unterschiedlicher Trachten – darunter sah man auch Feze mit Troddeln oder Beduinenmäntel. Manche Frauen gingen verschleiert, manche Männer hingegen trugen Jacketts, wie sie auch in London üblich waren. Ein jeder eilte unter dem unbeteiligten Starren der eisernen Golems vorwärts.
»Was ist denn das da?«, fragte Newkirk und zeigte nach vorn.
Eine Viertelmeile vor dem Elefanten hatte sich ein Aufruhr gebildet und durch das Menschengewirr drängte sich eine rote Menge auf sie zu.
Eddie Malone leckte wieder an seinem Stift. »Das dürfte unser Begrüßungskomitee sein.«
Deryn ging auf dem Howdah nach vorn und schirmte die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab. Nun erkannte sie eine Gruppe Männer, die Feze trugen und die Fäuste schwangen. Plötzlich verstummte das Gespräch in Diplomatenfranzösisch hinter ihr.
»Ach du meine Güte«, sagte Botschafter Mallet. »Schon wieder diese Burschen.«
Deryn wandte sich an den Piloten auf dem Howdah. »Wer ist das?«
»So ein Bund, der ›Die Jungen Türken‹ genannt wird, glaube ich, Sir«, sagte der Mann. »Die Stadt ist voller geheimer Gesellschaften und Revolutionäre. Ich kann sie mir gar nicht alle merken.«
Es blitzte, als Eddie Malone ein Foto schoss.
Der Botschafter putzte sich die Brille. »Die ›Jungen Türken‹ haben vor sechs Jahren versucht, den Sultan vom Thron zu stoßen, aber die Deutschen haben das verhindert. Aus dem Grunde hassen sie jetzt alle Fremden. Das war vermutlich zu erwarten. Wie mir meine Quellen berichten, sind sie wegen der Zeitungsberichte über die Osman völlig aus dem Häuschen.«
» Was für Quellen?«, erkundigte sich Dr. Barlow.
»Nun, natürlich spreche ich kein Türkisch, und das Botschaftspersonal ebenfalls nicht. Dennoch verfüge ich über hervorragende Quellen, das kann ich Ihnen versichern.«
Dr. Barlow zog eine Augenbraue hoch. »Wollen Sie mir damit mitteilen, Herr Botschafter, dass niemand bei Ihnen die hiesigen Zeitungen lesen kann?«
Der Botschafter räusperte sich und seine Assistenten ließen den Blick ins Leere schweifen.
»Hätte auch nicht viel Sinn«, sagte Eddie Malone und fütterte das Glühwürmchen im Blitz seiner Kamera mit einem Zuckerwürfel. »Wie ich
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