Behemoth - Im Labyrinth der Macht
mit Leder gepolstert. Die Lehnstühle wirkten absurd schwer im Vergleich zu den spindeldürren Möbeln auf der Leviathan . Jeder Sessel hatte eine eigene Fußstütze, die sich aus dem Boden erhob. Ein mechanischer Barmann mit Fez stand reglos im Schatten.
Sie ging ein paar Schritte vorwärts und fühlte sich vollkommen fehl am Platze. Selbst leer und dunkel roch der Speisewagen nach vornehmer Gesellschaft, und halb erwartete Deryn, im nächsten Moment würde jemand im Smoking eintreten und sie hohnlächelnd in ihrem schlecht sitzenden Matrosenanzug von oben bis unten mustern.
Sie setzte sich an einen der Tische und spähte durch die Gardinen nach draußen. Die elektrischen Fackeln der Verfolger hüpften durch die Dunkelheit, doch bewegten sie sich in Richtung Wasser, weil man vermutlich noch immer glaubte, sie würde vom Express fliehen. Gebrüll und Rufe hallten durch den Hafen, doch hier Zug fühlte man sich, als würde im nächsten Moment ein anständiges Abendessen serviert …
»Abendessen«, flüsterte Deryn und sprang auf.
Sie ging hinter die Bar und durchforstete die Regale, in denen sie Korkenzieher und Handtücher und Flaschen mit Brandy und Wein entdeckte. Es war nur ein Salon, der getrennt vom Speisewagen war – hier gab es kein brüllendes Essen!
Dann entdeckte sie eine Schublade voller hübscher Küchlein, die in dicke Stoffservietten gewickelt waren. Jemand vom Personal musste sie zur Seite gelegt und vergessen haben.
Deryn setzte sich auf den Boden und begann, Kuchen zu essen. Die mochten noch so trocken sein, sie schmeckten besser als alles, was sie bislang beim Service bekommen hatte. Dazu trank sie Wasser aus einem silbernen Eiskübel – und genehmigte sich zum Schluss sogar ein paar Schlucke aus einer angebrochenen Flasche Brandy.
»Gar nicht so schlecht«, sagte sie und rülpste.
»Kuchen und Brandy bei Lampenschein.«
Nachdem ihr jetzt nicht mehr vor Hunger schwindlig war, stellte sich Deryn die Frage, was hier eigentlich vor sich ging. Wohin brachten die Mechanisten die ganze Fracht? Den Schildern zufolge stammte alles aus Deutschland. Warum wurde es also wieder auf den Express geladen, der zurück nach München fahren würde?
Deryn schaute erneut aus dem Fenster. Von den Suchern war keine Spur mehr zu sehen – vermutlich waren die zum Wasser gegangen, weil sie glaubten, Deryn sei von dort gekommen.
Die mechanischen Arme hatten fast die gesamte Fracht aufgeladen – riesige Glasbatterien und Isolatoren –, und die Motoren des Zuges sprangen wieder an.
Wenn das Ziel nun ganz nahe lag, an einer Stelle, von der der Zug bis zum Morgen wieder zurücksein könnte? Niemand würde seine Abwesenheit bemerken oder auf den Verdacht kommen, der luxuriöse Orient-Express befördere solche Lasten.
Der Zug setzte sich in Bewegung, und Deryn dachte daran, dass sie nicht hier war, um bei den Mechanisten zu spionieren. Sie wollte Alek helfen und nicht die Geheimnisse des Osmanischen Reiches aufdecken.
Schon blieb der mit Stahldraht gespickte Zaun an beiden Seiten hinter ihr zurück – sie konnte jederzeit abspringen, ohne dass es jemand bemerkt hätte.
Deryn ging an die Bar zurück und suchte sich die beste Flasche Brandy, die sie finden konnte. Es war schlicht und einfach Diebstahl, aber sie brauchte etwas, das sie gegen Geld und eine anständige Mahlzeit tauschen konnte. Etwas Besseres als diesen verstaubten alten Brandy konnte sie nicht entdecken.
Der Express rollte gemächlich durch Istanbul und zog kaum Aufmerksamkeit auf sich. Die Gleise verliefen nahe am Wasser, vorbei an dunklen Lagerhäusern und geschlossenen Fabriktoren. Deryn öffnete die Tür zwischen den Wagen und wartete auf den richtigen Moment zum Abspringen.
Während der Zug in einer Kurve noch langsamer wurde, stieg sie ab und landete geschmeidig wie ein Tourist, der am Bahnsteig aus dem noch fahrenden Zug springt. Sie rutschte den Damm hinunter und duckte sich, bis der dampfende Drache vorbeigefahren war. Dann machte sie sich zu den unbeleuchteten Straßen auf.
Selbst so spät am Abend erhellten die Lichter der Stadt den Horizont, aber im Augenblick war Deryn Ruhe wichtiger als Essen. Also wählte sie die dunkelste und schäbigste Gasse, die sie finden konnte, und rollte sich zusammen, um ein paar Stunden mehr schlecht als recht zu schlafen.
29. Kapitel
Sie erwachte vor dem Morgengrauen, als jemand sie mit einem Besen anstieß.
Es war ein junger Mann im Overall, der seine Arbeit ohne große Begeisterung
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