Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
Ç schaute zu Halis Tokgöz hinüber, der fröhlich sein Bier schlürfte. Erinnerungen blitzten in seinem Kopf auf: Der Fettwanst, der sich in der Tatnacht draußen vor der Bar über die Polizei beschwert hatte. Der Mann mit dem Handbeil, mit dem er in der Fakultät für Geschichts- und Kulturwissenschaften Auge in Auge gestanden hatte. Die beiden Bilder fügten sich zusammen.
»Wer ist dieser Kerl?«, fragte Harun.
»Ein Spitzel, der für Aybars die Dreckarbeit macht. Ab und zu ist er auch als Leiharbeiter für den Geheimdienst tätig. Sie hetzen ihn auf die Leute, wenn sie eine Provokation brauchen, um dann eingreifen zu können. Zum Beispiel an der Uni.«
»Na los, dann treten wir ihn jetzt untern Tisch und nehmen ihn mit.«
»Nicht jetzt. Erst, wenn er rausgeht. Du mußt den Wagen vor die Tür fahren.«
»Cevdet ist hier. Ich sag ihm Bescheid, daß er den Wagen vorfährt.«
»Prima.«
Harun nahm einen großen Schluck von seinem Bier und sagte: »Herr Vorgesetzter… Die nennen das Ritualmord und so… Gut, aber wie bringt ein Vater es fertig, seine eigene Tochter…? Ich versteh das nicht. Deine Tochter ist doch auch…« Harun schwieg.
»Sag’s ruhig. Du wolltest doch sagen, daß meine Tochter auch schwanger geworden ist.«
»Aber nein, Herr Vorgesetzter, ich bitte dich.«
»Doch, doch. Stimmt ja.«
Beide schwiegen lange.
»Wer noch Mensch genug ist, bringt sowas nicht fertig«, sagte Behzat Ç. »Seit ich bei der Mordkommission bin, habe ich pro Jahr mit durchschnittlich einhundert Mordfällen zu tun. Das heißt, ich hab in meinem Leben ungefähr zweitausend Morde gesehen. Ich versteh es immer noch nicht. Hayrettin war von Anfang an dagegen, daß seine Tochter studiert. Er hat uns angelogen. Bei dem ganzen Grundbesitz und der Kohle, die sie haben, muß er seine Tochter doch nicht in ein staatliches Studentenwohnheim schikken. Sie ist gegen seinen Willen auf die Uni, deswegen hat er sie nicht unterstützt. Er hat im Leichenschauhaus so sehr geweint, daß wir vergessen haben, ihn das zu fragen. Wir haben einiges übersehen. Weil er wirklich trauerte. Sein Schmerz war nicht gespielt. Er hat geweint, weil seine Tochter gestorben ist und er selbst dafür verantwortlich war.«
»Wann hat es bei dir klick gemacht?«
»Als ich eine Zweiunddreißigerpackung Klopapier aufriß. Ich war zwangsbeurlaubt. Eines Nachts hatte ich einen ganz komischen, fiesen Alptraum, von dem ich mich kaum befreien konnte. Aber er hat mein Gehirn in Bewegung gesetzt. Ich hab mir nämlich genau die Frage gestellt, die du mir gerade gestellt hast: Wie bringt ein Vater es fertig, seine eigene Tochter zu töten?«
»Aber irgend etwas stimmt mit dem Zeitablauf nicht. Wann haben sie beschlossen, das Mädchen umzubringen?«
»Als der Fettwanst rausgefunden hat, daß sie schwanger war. Nachdem Betül verhaftet wurde, hat Hayrettin es bereut, daß sie allein in Ankara war. Er wird sich gesagt haben, sie kommt vom rechten Weg ab, wenn er sich nicht um sie kümmert. Er wollte ein guter Vater sein und sie unter seine Fittiche nehmen. Deswegen hat er eine Wohnung für sie gemietet und ihre alte Amme nach Ankara geschickt. Obwohl Betül ihm versprochen hat, die Finger von der Politik zu lassen, hat er ihr nicht vertraut. Er hat beschlossen, sie überwachen zu lassen, damit er sich keine Vorwürfe zu machen braucht. Er bat Aybars um Hilfe, und wen hat der vorgeschlagen?«
»Diesen Typen da hinten. Ich werd dem Arschloch jetzt…«
»Psst! Bloß nicht. Der Fettwanst jedenfalls hat sich nicht damit begnügt, sie zu überwachen. Er hat gesehen, wie sie in die Geburtsklinik ging und gleich in vorauseilendem Gehorsam ihre Testergebnisse geklaut. Da hat Aybars Hayrettin nach Ankara gerufen, und sie haben beschlossen, Betül zu ermorden.«
»Was machen wir jetzt mit diesem Hayrettin?«
»Erst müssen wir unsern Kumpel hier verhaften. Dann die Ratte auf dem heißen Blechdach. Wenn wir alles aufgeklärt haben, beantragen wir beim Staatsanwalt einen Haftbefehl für Hayrettin. Der Geier bewacht ihn gerade im Krankenhaus, neben seinem Bett.«
Harun winkte dem Kellner mit seinem leeren Glas.
»Eine andere Sache«, sagte er. »Wem gehört der Schalldämpfer?«
»Dem Geheimdienst. Den haben sie sich nur ausgeliehen, damit der Mord geräuschlos verläuft.«
»Haben die bei der Terrorbekämpfung denn keine eigenen?«
»Bestimmt. Aber das hätte zuviel Aufmerksamkeit erregt. Der Geheimdienst kommt und holt zurück, was ihm gehört. Und dann kehren
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