Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
nicht nach einem psychotherapeutischen Patienten aussah, gefolgt von der mißgelaunten Krankenschwester.
»Haben Sie eine Wartenummer gezogen?«
»Nein. Ich wollte nur eine Information einholen.«
»Wie meinen?«
»Ich bin von der Polizei. Ich möchte mich aber der Dame gegenüber nicht vordrängeln.«
»Toll. Du bist ja ein ganz Feinfühliger.«
Şule, Jale, Berna oder Selma hatte längst ihren halb ausgetrunkenen Kaffee in den Mülleimer geworfen und war zur Tür gegangen. Mit einem Mal drehte sie sich um und rannte zu Behzat Ç zurück, fuhr ihm mit der Hand durch das ergrauende Haupthaar und flüsterte: »Mach dir nichts draus. Wenn man genau hinschaut, könnte man dich fast für attraktiv halten.«
Gegen zwölf Uhr nachts hatten sie den Dienstwagen gegenüber der Günizstraße in Tunalı Hilmi geparkt und die Scheinwerfer ausgeschaltet. Vorne saßen Harun und Osman von der Drogenfahndung, hinten Behzat Ç. Alle drei starrten auf das dritte Haus von ihrem Standort aus, den Eingang einer Bar.
»Wenn wir schon mal im Viertel sind, laß uns auf einen Tee bei Süleyman Demirel vorbeischauen.«
»So spät keinen Tee mehr für mich.«
Behzat Ç verdeckte den Glutkegel seiner 216 mit dem Handrücken, damit von außen nicht zu erkennen war, daß jemand im Auto saß, und nahm kurze, rasche Züge. Dabei war niemand auf der Straße, nicht einmal ein Hund, der zwischen die Müllsäcke gepinkelt hätte. Wären nicht vereinzelte Autos über die Tunalı-Hilmi-Straße gefahren, hätten nicht Flaneure die Passagen der Ausgehmeile verlassen und betreten, man hätte sich fast in einem Niemandsland wähnen können. Er wandte sich dem Drogenfahnder zu: »Osman, kannst du den Kerl von hier aus überhaupt wiedererkennen?«
»Klar. Es ist erst drei Monate her, daß wir ihn verhaftet haben. Er hat ein anhängiges Verfahren, darf aber frei rumlaufen. Bis jetzt. Wenn die Staatsanwaltschaft ihn wegen Handel drankriegt, ist es für ihn aus.«
Er drehte sich zu Harun, der gerade mit seinen Nackenwirbeln knackte, und wechselte das Thema: »Habt ihr beim Studienkolleg nachgefragt?«
»Haben wir. Er war den ganzen Morgen im Unterricht. Ich hab mir den Jungen angeschaut. Er sah überhaupt nicht nach einem Psychopathen aus. Er ist einer der Klassenbesten.«
»Aber es heißt, er wäre vom Kohlenschuppen gesprungen.«
»Herr Vorgesetzter, wenn man danach geht, können wir gleich eine Katze verhaften. Es war eine achtzigjährige Oma, die ihn mitten in der Nacht gesehen zu haben meint. Der Junge war gestern nacht bei seinem Freund zu Besuch.«
»Konnte der Freund das bestätigen?«
»Ja.«
Harun schlug Osman auf die Schulter.
»Siehst du, Osman, mit solchen Psychopathen müssen wir uns rumschlagen. Hat eine Dreizehnjährige vergewaltigt und an der Decke aufgehängt. Holt mich lieber zu euch in die Abteilung. Ich hab sowieso immer nur Streß mit meinem Vorgesetzten.«
Harun schaute durch den Innenspiegel Behzat Ç an und lächelte unsicher. Dennoch enthielt dieser Scherz ein Körnchen Wahrheit. Seit dem Vorfall im letzten Jahr war zwischen den beiden eine Kälte ausgebrochen, die wie eine Kriegsführung niederer Intensität langfristig den Alltag durchzog. Harun war für Behzat Ç zwar nach wie vor ein Kollege, auf den er größte Stücke hielt, aber er war ihm gegenüber viel ungeduldiger und ungehaltener als früher. Harun seinerseits war gegenüber jeder Äußerung seines Vorgesetzten empfindlich geworden und schnell beleidigt. Zudem störte er sich insgeheim an der Toleranz, die der Hauptkommissar Eda entgegenbrachte. All dies waren Dinge, die unausgesprochen zwischen ihnen im Raum standen.
»Wie war es bei der Psychologin?«
»Nichts Besonderes. Zuerst hat sie sich gar nicht an Betül erinnert. Erst, als ich ihr das Foto gezeigt habe. Dann haben wir ihre Unterlagen durchgesehen. Sie war im letzten Jahr dreimal dagewesen und hat danach ihre Behandlung abgebrochen.«
»Was hatte sie?«
»Verdacht auf manische Depression, aber keine sichere Diagnose.«
»Was ist das denn?«
»Eine komische Krankheit. Hab heute so jemanden kennengelernt. In der manischen Phase wirkt man kraftvoll und fröhlich, und wenn das vorbeigeht, stürzt man ab.«
»Wie stürzt man ab?«
»So wie man halt abstürzt, zack liegst du da. Kriegst heftigen Weltschmerz. Das kann bis zum Selbstmord gehen.«
Als aus der Bar ein hochgewachsener, junger Mann mit Lederjacke herauskam, ließen sie von der Diskussion über Abstürze ab. Der Mann klappte seinen
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