Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
benachrichtigen, wenn er etwas erfährt.«
Alle Blicke richteten sich auf die hochgewachsene, schlanke Frau, die Cevdet ins Zimmer führte. »Wer bist du?«, fragte Behzat Ç.
Sie antwortete nicht, sondern musterte zuerst alle Anwesenden, bevor sie sagte: »Wer seid ihr?«
Behzat Ç mußte unwillkürlich lächeln. Er konnte sich an das Mädchen erinnern; er hatte sie bei Betüls Amme Hafize gesehen. Es war Nazlı, die Schöne, die ihn nach dem Durchsuchungsbefehl gefragt hatte.
»Bin ich als Zeugin hier oder bin ich in Polizeihaft?«
»Zeugin. Wir möchten deine Aussage aufnehmen.«
»So geht das aber nicht. Ihr könnt mich nicht einfach so am frühen Morgen aus meiner Wohnung verschleppen und hierher bringen ohne eine Anordnung der Staatsanwaltschaft.«
»Und wie soll das sonst gehen?«, erwiderte Harun. »Soll sich etwa der Staat zu dir bemühen?«
»Und der Staat bist du, ja?«
Harun geriet ins Schleudern und schaute seinen Vorgesetzten und Eda hilfesuchend an. Die aber schauten ebenso ratlos zurück. Schließlich brachte er heraus: »Ich bin nicht der Staat. Aber ich repräsentiere ihn.«
»Du bist im öffentlichen Dienst. Du kannst den Staat gar nicht repräsentieren. Das ist das Amt des Staatspräsidenten. Und im Ausland machen das die Botschafter. Sonst darf das niemand.«
»Meine Fresse, du weißt aber ’ne ganze Menge. Wie ein wandelndes Lexikon der Staatsbürgerkunde.«
Nazlı schüttelte ihr Haar, ihr Gesicht wurde feuerrot.
»Macht euch nur lustig. Ihr habt euch ganz schön an diese Art gewöhnt. Ihr kennt weder Gesetzesbücher noch Lexika.«
Behzat Ç massierte seine Stirn, um seiner chronischen Kopfschmerzen Herr zu werden. Ihm war klar, daß dies eine jener Situationen war, in denen man Körpersprache zum Einsatz bringen mußte. Er legte seine Hand auf die Brust, streckte sie ihr dann einladend entgegen. »Setz dich doch erst einmal«, sagte er. »Wir arbeiten hier im Interesse deiner verstorbenen Freundin.«
Eda rutschte auf dem Zweisitzer ein wenig zur Seite und bot Nazlı an, sich zu setzen. Das tat sie aber nicht.
»Wir haben dich vorgeladen, um deine Aussage aufzunehmen. Worum geht es denn bei dieser Tonaufnahme, magst du uns das erzählen?«
»Nein, mag ich nicht. Von bewaffneten Polizisten, die in den frühen Morgenstunden mit Fäusten gegen meine Türe hämmern, lasse ich mich nicht vorladen. Ihr habt hier kein kleines Kind vor euch. Ich hab keine Angst.«
»Falls wir etwas getan haben sollten, das dich verängstigt hat, bitten wir um Entschuldigung.«
»Das würde euch sowieso nicht gelingen. Ihr tut so, als ob ihr diesen Fall aufklären wolltet. Aber ich würde mich nicht wundern, wenn ihr in Wirklichkeit eure Hände im Spiel hättet.«
Harun bäumte sich in seinem Sitz auf.
»Jetzt mach aber mal einen Punkt«, sagte er. »Was redest du denn überhaupt?«
Nazlı ließ sich nicht beirren, sondern wandte sich direkt an Behzat Ç: »Bin ich also doch in Polizeihaft, gelte ich als Verdächtige, werde ich beschuldigt? In welcher Eigenschaft habt ihr mich hierher gebracht?«
Als sie keine Antwort bekam, fragte sie in einer Mischung aus wütendem Brüllen und spitzem Schrei: »Was bin ich?«
»Du bist überhaupt nichts«, sagte Behzat Ç. »Du kannst gehen, wann es dir paßt.«
»Dann geh ich jetzt.«
Sie schlug die Tür zu und verließ das Büro. Cevdet lief ihr verärgert nach. Harun hatte einen Stift aus dem Stifthalter genommen und drehte ihn zwischen seinen Fingern.
»Noch eine Durchgeknallte«, sagte er. »Aber was sollen solche wie wir auch mit vernünftigen Leuten.«
»Wenn sie durchgeknallt ist, hat sie jedenfalls einen Grund dafür.«
Alle starrten Eda an.
»Und der wäre?«
»Der Vater dieser Frau war bei der Gewerkschaft. Ich weiß nicht genau, bei welcher. Er wurde 1991 verhaftet, ich glaube von unserer Staatsschutzabteilung. Er hat in seiner Zelle Selbstmord begangen. Ein sehr umstrittener Fall…« Sie blickte Behzat Ç an. »Du weißt sicher davon.«
»Ja, weiß ich«, sagte Behzat Ç.
Das war einer der Fälle, die die Staatsschutzabteilung, der Vorläufer der Abteilung für Terrorbekämpfung, vermasselt hatte. Als die Sache vors Gericht kam und an die Presse gelangte, wurde sie eine Weile in der Öffentlichkeit diskutiert, aber als sie vergessen war, gingen die Täter, also seine Kollegen – und falls er sich nicht irrte, war auch Aybars einer von ihnen gewesen – ganz ohne Strafe aus. Sie wurden sogar befördert. Solche Vorkommnisse waren damals
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