Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
über Betüls fragwürdigen Selbstmord. Berna war betroffen. Zum ersten Mal interessierte sie sich für einen Fall, an dem Behzat Ç arbeitete. Sie stellte ihm eine Menge Fragen, las sogar Betüls Abschiedsbrief in Fotokopie und weinte darüber. Sofort erklärte Behzat Ç: »Den haben sie aus ihrer Kladde gerissen und ihr in die Tasche gesteckt. Das ist kein authentischer Abschiedsbrief.«
»Du mußt diesen Fall unbedingt lösen«, hatte Berna gesagt. »Aber vergiß mich dabei nicht.«
Am Achtundzwanzigsten hat sie Geburtstag, das darf ich auf keinen Fall vergessen
. Berna war mit ihren Freundinnen auf den Uludağ gefahren, um sich zu erholen. Das hatte sie auch verdient. Am Achtundzwanzigsten würde sie zurückkommen, und zum ersten Mal seit zwölf Jahren würden sie gemeinsam ihren Geburtstag feiern. Er wußte auch schon, was er ihr schenken wollte, mußte dafür aber noch etwas Geld sparen. Ob sein Gehalt schon überwiesen war?
Das Monatsgehalt wird nicht ausreichen. Ich leih mir was von Mutter, sie hat bestimmt Geld. Ich muß einen günstigen finden. Ob sie sich wohl darüber freut? Warum nicht, wenn er gut erhalten ist. Ich muß einen roten finden. Wenn nicht, laß ich ihn einfach umspritzen
. Damit wäre auch das Unglück dieses Tages wettgemacht. Als ob alle guten und schlechten Dinge auf der Welt sich auf diesen Tag konzentrierten: der Tod seines Vaters, seine Scheidung, Bernas Geburtstag.
Seltsamerweise gelang es ihm auch, sich mit Betül auszusöhnen. Falls man sich mit einer Leiche überhaupt aussöhnen konnte. Aber das war ja schließlich sein Geschäft. Es gab Tote, die er überhaupt nicht leiden konnte, weil sie in ihrem Leben alle möglichen Schweinereien gemacht hatten. Leute, bei denen er, wenn es nicht ums Geschäft gegangen wäre, gesagt hätte:
Was gehen die mich an, gut, daß die tot sind
. So eine war Betül zwar nicht, aber ihr Verhältnis zueinander war durchaus angespannt gewesen. Zum ersten Mal las er jetzt ihr Nachtbuch, ohne es durch die berufliche Brille zu betrachten und ohne sich dabei die Frage zu stellen, wer wohl verdächtig sein, wer sie wohl bedroht haben könnte. Er gab ihr sogar recht. Was für eine miese Welt. Sein Lieblingssatz war der:
Ein Ballon, der einem Kind aus der Hand gleitet und davonfliegt: Der traurigste Moment, der sich fotografisch dokumentieren ließe
. Ja, das hatte sie schön geschrieben, das konnte jeder verstehen, sowas hatte jeder mal erlebt.
Es klingelte viermal hintereinander in kurzen Abständen. Er versteckte seine Waffe hinter dem Rücken und schaute durch den Türspion.
Wo kommst du denn her, du Verrückte
? Er freute sich. Es war schon so lange her, daß er einen Menschen gesehen hatte, er war der Selbstgespräche müde geworden.
»Gute Besserung«, sagte Şule und stürmte in die Wohnung. »Du wolltest ja nicht auf mich hören. Ich hab dir Lindenblütentee mitgebracht, wo geht es denn zur Küche? Was hast du da hinterm Rücken? Zeig mal…«
Er trat zwei Schritte zurück und Şule rannte in kreisförmigen Bahnen um ihn herum.
»Du bist aber fies. Wolltest du auf mich schießen? Und ich dachte, du wolltest mir Blumen schenken.«
»Woher hast du überhaupt meine Adresse?«
»Von deiner Mutter.«
»Von meiner Mutter? Wie hast du die denn gefunden?«
»Jetzt stell doch nicht andauernd solche Fragen. Es gibt auch demokratische Wege der Informationsbeschaffung.«
Şule hatte die Küche gefunden.
»Wie macht man den Herd an? Hast du Hunger? Wenn du willst, koch ich dir eine Suppe, die kannst du dir abends heißmachen. Oh! Du hast ja schon Suppe im Kühlschrank. Wer hat die gemacht? Die Frau des Hausmeisters? Wir haben uns gerade kennengelernt, sie ist ganz schön genervt vom ewigen Treppenputzen, eine ziemlich melancholische Frau, sie heißt Gülsün, aber die Leute sagen wohl andauernd Gülsüm zu ihr.«
Behzat Ç kam in die Küche und sagte: »Hol mal kurz Luft. Laß mich auch mal was sagen.«
»Gut.«
»Wie hast du meine Mutter gefunden?«
»Über Google.«
»Über Google?«
»Wenn man bei Google deinen Namen eingibt, kommt die Seite von einem Fußballverein, wo du Mitglied bist. Club Cebeci, ist wohl ein kleiner Stadtteilverein. Da dachte ich mir, wieso sollte jemand Mitglied in so einem Verein sein, wenn er nicht aus diesem Stadtteil kommt. Ich bin hingegangen. Die hatten zwar nicht deine Nummer, aber die älteren Männer im Vereinslokal wußten zumindest, wer du bist. Vor deinen Freistößen sei damals jeder in Dekkung gegangen. Du
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