Behzat C. - jede beruehrung hinterlaesst eine spur
seist Innenverteidiger gewesen, der auch mal hart rangehen konnte. Einer von den Skatspielern meinte, du wärst eine treulose Tomate und würdest gar nicht mehr vorbeikommen. Die Mannschaft steht wohl vor dem Abstieg in die zweite Amateurliga. Er wußte jedenfalls, wo ihr früher gewohnt habt, und daß dein Vater an einem Herzinfarkt gestorben ist. Herzliches Beileid. Ich bin zu eurem Haus gegangen, es ist eigentlich sehr schön, nur ein klein wenig baufällig, aber durchaus mit eigenem Charakter. Ein typisches Beamtenhaus. Deine Mutter hat gefüllte Zucchini gemacht, geh sie doch mal besuchen. Die arme Frau ist ganz einsam, sie braucht jemanden zum Reden. Ab und zu anrufen reicht nicht. Übrigens fand deine Mutter mich sehr sympathisch, ich glaube, sie wollte mich sogar kurz mit dir verkuppeln, jedenfalls hat sie nach meinem Alter gefragt, aber dann war ich ihr wohl zu jung, du solltest dir das sowieso aus dem Kopf schlagen, ich bin wirklich viel zu jung für dich. Ich bin ja gerade mal so alt wie deine Tochter. Wie geht es Berna eigentlich? Wie gefällt es ihr am Uludağ?«
Der Duft der aufgekochten Lindenblüten breitete sich in der Küche aus und zog mit ihnen zusammen ins Wohnzimmer. Er legte sich auf das Sofa und nahm einen Schluck. Das tat gut. Wirklich gut. Şule reichte ihm eine Tablette und sagte: »Nimm die mal dazu.«
»Ich hab schon Aspirin genommen.«
»Macht nichts, nimm die. Ist wunderbar gegen Erkältung.«
»Sowas nehm ich nicht.«
»Wieso?«
»Ich hab schon Aspirin genommen.«
»Aber Aspirin hilft doch nicht. Nimmst du denn gar keine andere Medizin?«
»Niemals.«
»Du störrischer alter Knacker.«
Şule setzte sich in den Relaxsessel und lehnte sich zurück.
»Aber Bequemlichkeit schreibst du groß, wie ich sehe«, sagte sie. »Was ist das? Führst du Tagebuch?« Sie nahm die Kladde in die Hand und blätterte darin. »Nachtbuch ist aber ein hübscher Name. Ist das privat? Hast du das geschrieben?«
»Nein.«
Şule las die erste Seite.
Dies ist nicht unser Land, sondern das derjenigen, die uns umbringen wollen. T. Ö
. »Ach, das ist doch von… na?« Behzat Ç richtete sich auf.
»Von wem?«
»Warum gleich so aufgeregt? Von Tezer Özlü. T.Ö. ist ihre Abkürzung.«
»Wer ist das?«
»Eine sehr traurige Schriftstellerin. Sie ist jung gestorben. Ich hab alle Bücher von ihr gelesen. Es ist wirklich sehr ergreifend, was sie schreibt. Dieser Satz hier stammt vermutlich aus einem Brief an Leyla Erbil. Ach, sicher. Am 1. Mai 1977 waren Tezer Özlü und Leyla Erbil gemeinsam auf der Demonstration am Taksim und sahen, wie die Sicherheitskräfte in die Menge hineinfeuerten. Das Massaker ging später als Blutsonntag in die Geschichte ein. Am nächsten Morgen sagte Tezer Özlü zu Leyla Erbil diesen Satz. Damals war ich natürlich noch Orangensaft im Bauch meines Vaters. Ich weiß nicht viel über diese Zeit, aber es sollen wohl mehr als 500.000 Teilnehmer auf der Demonstration gewesen sein. Ich interessiere mich nicht für Politik, ich bin ein Kind der ›Generation Özal‹. Als ich klein war, hieß es immer, jetzt ist Özal an die Macht gekommen, die Zeit der Junta ist vorbei und alle Haushalte bekommen Telefonanschlüsse. Und Linke finde ich sowieso heuchlerisch.«
»Warum?«
»Sie vergessen schnell, was sie mal gesagt haben. Leyla Erbil sagt, an der Maidemonstration 1977 haben über 500.000 Menschen teilgenommen, aber als es nach dem Militärputsch von 1980 zum Referendum über die neue Verfassung kam, stimmten nur 275.000 Menschen gegen den Verfassungsentwurf der Junta. Wo sind all diese Menschen geblieben? Ich meine jetzt nicht all die, die erschossen oder aufgehängt wurden, sondern die Überlebenden. Die Altlinken sind noch konservativer als die Islamisten, alles Verrückte ist ihnen fremd. Sie reden ständig von Gleichheit. Wenn alle Menschen gleich wären, was wäre dann noch das Besondere an mir? Du bist natürlich Staatsbeamter, du darfst dich über sowas nicht äußern.«
Behzat Ç gähnte.
»Hab ich dich müde gemacht? Das wollte ich nicht. Haben sie dich eigentlich nur suspendiert oder ganz rausgejagt?«
»Weder noch. Ich habe Urlaub genommen.«
»Bis wann?«
»Noch vier Tage.«
»Wann holst du mich morgen ab?«
»Was?«
»Gehen wir nicht zum Spiel?«
»Welches Spiel?«
»Was bist du denn für ein treuloser Fan? Morgen spielt doch Gençlerbirliği. Du hast sicher noch deine Dauerkarte, darauf kannst du mich doch mitnehmen.«
Behzat Ç mußte lächeln.
»Also
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