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Bei Anbruch der Nacht

Titel: Bei Anbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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verstohlenes Grinsen, dann die Standardabsage.
    Als zum x-ten Mal dasselbe passierte, wurde ich so verzweifelt, dass ich sagte: »Also ich kapier das nicht. Wollt ihr ewig eine Coverband bleiben? Und selbst wenn, was glaubt ihr, wo eure Songs ursprünglich herkommen? Genau! Jemand schreibt sie!«
    Aber der Typ, mit dem ich redete, starrte mich nur leer an,
dann sagte er: »Nix für ungut, Mann. Aber es laufen eben massenhaft Wichser herum, die Songs schreiben.«
    Die Idiotie dieser Einstellung, die anscheinend in der gesamten Londoner Szene verbreitet war, brachte mich schließlich zu der Überzeugung, dass es hier unten, auf der untersten Stufe der Leiter, etwas extrem Seichtes und Unechtes, vielleicht überhaupt total Krankes gab, und das war zweifellos ein Spiegelbild davon, wie es in der gesamten Musikindustrie zuging, bis ganz hinauf zur Spitze.
    Diese Erkenntnis und der Umstand, dass die Fußböden, auf denen ich übernachten konnte, allmählich rar wurden, je näher der Sommer kam, ließen mich einsehen, dass es trotz aller Faszination, die London ausübte – meine Studentenzeit verblasste daneben -, nicht schlecht wäre, eine Auszeit von der Stadt zu nehmen. Deshalb rief ich meine Schwester Maggie an, die oben in den Malvern Hills zusammen mit ihrem Mann ein Café betreibt, und so wurde beschlossen, dass ich den Sommer bei ihnen verbringen würde.

    Maggie ist vier Jahre älter als ich, und weil sie sich sowieso dauernd Sorgen um mich macht, war mir klar, dass sie von der Idee begeistert wäre. Vor allem merkte ich, wie froh sie über die zusätzliche Hilfe war. Wenn ich sage, ihr Café ist in den Malvern Hills, dann meine ich nicht den Ort Great Malvern oder die Hauptstraße, die hindurchführt, sondern wirklich den Höhenzug, die Hügel ringsherum. Es ist ein altes, frei stehendes viktorianisches Haus, das nach Westen ausgerichtet ist, sodass man sich bei schönem Wetter mit Tee und Kuchen auf die Terrasse setzen und den überwältigend weiten Blick über Herfordshire genießen kann. Maggie und Geoff müssen das Haus über den Winter schließen, aber im Sommer
ist immer Hochbetrieb: Es kommen vorwiegend Leute aus der Umgebung – die auf dem West-of-England-Parkplatz hundert Meter unterhalb ihr Auto abstellen und in Sandalen und Blümchenkleidern den Weg heraufkeuchen – und ansonsten die Fraktion der Profiwanderer mit Landkarten und Ausrüstung.
    Maggie sagte, sie könnten es sich nicht leisten, mir einen Lohn zu zahlen, was mir sehr recht war, denn das hieß, dass sie auch keinen Dauereinsatz von mir erwarten konnten. Aber als Bezieher von Kost und Logis galt ich anscheinend doch als dritter Mitarbeiter. Das war alles mehr oder weniger ungeklärt, am Anfang war besonders Geoff hin- und hergerissen: Einerseits wollte er mir in den Arsch treten, weil ich nicht genug tat, und andererseits schien er sich entschuldigen zu wollen, dass er überhaupt was von mir verlangte – als wäre ich ein Gast. Aber bald stellte sich eine Routine ein. Die Arbeit war ja leicht – besonders gut war ich darin, Sandwiches zu machen -, und manchmal musste ich mir direkt wieder in Erinnerung rufen, weshalb ich eigentlich hierher aufs Land gekommen war: nämlich um bis zu meiner Rückkehr nach London im Herbst ein Repertoire ganz neuer Lieder zu schreiben.
    Ich bin von Natur aus ein Frühaufsteher, aber mir war bald klar, dass das Frühstück im Café ein Albtraum ist – die einen wollen ihr Ei so, die anderen ihren Toast so, und früher oder später ist sowieso alles zerkocht. Also kreuzte ich grundsätzlich nie vor elf auf. Wenn von unten das Geklapper und Geklirr heraufdrang, öffnete ich die Erkerfenster in meinem Zimmer, setzte mich auf das breite Fensterbrett und spielte Gitarre, vor mir endlose Meilen freies Land. Nach meiner Ankunft hatten wir mehrere schöne Tage am Stück, und das war wirklich ein
erhebendes Gefühl, so als könnte ich ewig weit schauen und meine Akkorde ans Ohr der gesamten Nation dringen lassen. Nur wenn ich mich abwandte und den Kopf direkt durchs Fenster streckte, hatte ich den Blick auf die Caféterrasse unter mir und nahm das Kommen und Gehen der Leute mit ihren Hunden und Kinderwagen wahr.
    Die Gegend war mir nicht fremd. Maggie und ich sind nur ein paar Meilen entfernt, in Pershore, aufgewachsen, und unsere Eltern waren oft mit uns in den Hügeln unterwegs. Ich war von diesen Ausflügen nie besonders begeistert, und sobald ich alt genug war, weigerte ich mich mitzugehen. In diesem Sommer aber

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