Bei Anbruch der Nacht
erschien mir die Gegend als die schönste der Welt, und ich empfand diese Hügel in vielerlei Weise als meine Heimat, aus der ich kam, in die ich gehörte. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass unsere Eltern getrennt sind, das kleine graue Haus gegenüber dem Friseur schon seit einer Weile nicht mehr »unser« Haus ist. Wie auch immer, statt des Gefühls qualvoller Enge, das ich aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte, empfand ich diesmal Zuneigung zu der Landschaft, sogar Heimweh.
So kam es, dass ich jetzt fast täglich in den Hügeln spazieren ging, manchmal, wenn ich sicher war, dass es nicht regnen würde, auch mit meiner Gitarre. Besonders gern mochte ich den Table Hill und den End Hill am nördlichen Ende des Höhenzugs, die von den Ausflüglern gern vernachlässigt werden. Dort verbrachte ich oft Stunden tief in Gedanken, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Es war, als entdeckte ich die Hügel zum ersten Mal, und ich konnte die neuen Lieder, die mir hier kämen, beinahe schmecken.
Die Arbeit im Café war allerdings eine andere Sache. Ich schnappte eine Stimme auf oder sah ein Gesicht vor der Theke
auftauchen, während ich einen Salat zubereitete, und sofort riss es mich zurück in einen früheren Abschnitt meines Lebens. Alte Freunde meiner Eltern kreuzten auf und horchten mich aus, was ich so trieb, und ich musste ihnen irgendwas auftischen, bis sie mich endlich in Frieden ließen. Zum Abschied hatten sie meist eine Lebensweisheit wie »Wenigstens bist du weg von der Straße« auf Lager, nickten zu den Brotund Tomatenscheiben hinüber und watschelten dann mit Tasse und Untertasse an ihren Tisch zurück. Oder es kam jemand herein, den ich von der Schule kannte, und fing an, in seinem neuen »Universitätstonfall« mit mir zu reden, analysierte womöglich mit oberschlauen Sprüchen den neuesten Batman-Film oder verbreitete sich über die wahren Ursachen der Armut in der Welt.
Das alles störte mich nicht weiter. Bei manchen freute ich mich sogar, dass ich sie wiedersah. Eine Person allerdings war unter den Cafégästen in diesem Sommer, bei deren Anblick mir das Blut in den Adern gefror, und bis ich auf die Idee kam, in die Küche zu fliehen, hatte sie mich bereits entdeckt.
Diese Person war Mrs Fraser – Hexe Fraser, wie wir sie genannt hatten. Ich erkannte sie in dem Moment, als sie mit einer schlammverkrusteten kleinen Bulldogge hereinkam. Ich hätte ihr gern gesagt, dass der Hund hier drin nichts verloren hatte, aber die Leute brachten immer ihre Hunde mit herein, wenn sie sich von der Theke ihre Sachen holten. Hexe Fraser war eine Lehrerin an der Schule in Pershore gewesen. Zum Glück ging sie in Pension, bevor ich in die Oberstufe kam, aber in meiner Erinnerung überschattet sie meine gesamte schulische Existenz. Sie ausgenommen, war die Schule nicht so schlimm gewesen, aber sie hatte es von Anfang an auf mich abgesehen, und wenn du erst elf Jahre alt bist, kannst du dich
gegen Leute wie sie nicht wehren. Ihre Tricks waren die üblichen, wie alle abartigen Lehrer sie anwenden, zum Beispiel stellte sie mir im Unterricht genau die Fragen, bei denen sie ahnte, dass ich keine Antwort wusste, dann ließ sie mich aufstehen und sorgte dafür, dass die ganze Klasse über mich lachte. Später wurde sie subtiler. Ich weiß noch, wie ich einmal, als ich vierzehn war, im Unterricht einen witzigen Wortwechsel mit einem neuen Lehrer, Mr Travis, gehabt hatte. Das waren keine Witze auf meine Kosten, sondern wie von gleich zu gleich, die Klasse hatte gelacht, und ich war stolz. Aber ein paar Tage später ging ich einen Flur entlang, Mr Travis kam mir entgegen, und er war im Gespräch mit ihr , und als wir auf gleicher Höhe waren, hielt sie mich auf und machte mich wegen nicht erledigter Hausaufgaben oder sonst was zur Schnecke. Die Veranstaltung hatte keinen anderen Zweck als Mr Travis klarzumachen, dass ich ein »Störenfried« sei und dass es ein Riesenirrtum sei zu glauben, ich sei womöglich einer, der seinen Respekt verdient hatte. Ich weiß nicht, warum, vielleicht weil sie alt war – jedenfalls schienen die anderen Lehrer sie nie zu durchschauen. Sie nahmen immer alles für bare Münze, was sie von sich gab.
Als die Hexe Fraser an diesem Tag hereinkam, war klar, dass sie sich an mich erinnerte, aber natürlich lächelte sie weder, noch begrüßte sie mich. Sie holte sich eine Tasse Tee und ein Päckchen gefüllte Kekse und ging damit hinaus auf die Terrasse. Ich dachte, das war’s. Aber später kam sie
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