Bei Anbruch der Nacht
Wer weiß. Aber noch mindestens ein paar Minuten lang war alles gut, und wir tanzten weiter unter dem sternenübersäten Himmel.
Malvern Hills
I ch hatte den Frühling in London verbracht, und obwohl ich nicht alles erreicht hatte, was ich mir vorgenommen hatte, war es insgesamt doch ein spannendes Intermezzo gewesen. Aber als die Wochen ins Land gingen und der Sommer näher kam, setzte meine alte Rastlosigkeit wieder ein. Schon deshalb, weil ich allmählich eine unbestimmte Paranoia entwickelte, ich könnte noch mehr ehemalige Studienfreunde treffen. Es waren mir schon zu viele begegnet, wenn ich in Camden Town herumspaziert war oder mir in den Megastores im West End CDs angesehen hatte, die ich mir nicht leisten konnte, und natürlich wollten sie alle wissen, was ich denn so getrieben hätte, seitdem ich von der Uni abgegangen sei, »um Ruhm und Reichtum zu finden«. Nicht, dass es mir peinlich gewesen wäre, ihnen zu erzählen, was ich hier vorgehabt hatte. Es war nur so, dass keiner von ihnen – bis auf sehr wenige Ausnahmen – imstande war zu begreifen, was das für mich, zu diesem speziellen Zeitpunkt, bedeutete: ein paar »erfolgreiche« Monate.
Wie gesagt, ich hatte nicht sämtliche Ziele erreicht, die ich mir gesteckt hatte, aber gut, das waren ja schon immer eher
langfristige Ziele gewesen. Und jedes Vorspielen, selbst ein wirklich trostloses, war doch auch eine unschätzbare Erfahrung. In fast allen Fällen hatte ich etwas mitgenommen, hatte etwas über die Londoner Szene oder aber über das Musikgeschäft im Allgemeinen gelernt.
Manchmal war das Vorspielen eine ziemlich professionelle Sache. Man fand sich in einer Lagerhalle oder in einem umgebauten Garagenblock ein, und es war ein Manager anwesend, vielleicht auch die Freundin eines Bandmitglieds, man nannte seinen Namen, wurde gebeten zu warten, bekam Tee angeboten, während aus dem Nebenraum die Band dröhnte, immer wieder abbrach und neu einsetzte. In den meisten Fällen ging so ein Vorspielen allerdings sehr viel chaotischer vonstatten. Wenn man sah, wie die Mehrzahl der Bands die Sache anging, brauchte man sich eigentlich nicht mehr zu wundern, weshalb die ganze Londoner Szene im Stehen einschlief. Wieder und wieder ging ich in irgendeiner Vorstadtstraße eine anonyme, spießige Reihenhauszeile entlang, trug meine Akustikgitarre eine Treppe hinauf und betrat eine muffig riechende Wohnung, in der Matratzen und Schlafsäcke auf dem Boden herumlagen und die Bandmitglieder vor sich hin nuschelten und einem kaum in die Augen schauten. Ich sang und spielte, während sie mich leer anstarrten, bis einer von ihnen der Sache ein Ende machte, indem er irgendwas sagte wie: »Ja, gut. Jedenfalls danke, aber das ist nicht ganz unser Genre.«
Bald kam ich drauf, dass die meisten dieser Typen entweder schüchtern oder schlicht völlig verkrampft waren, wenn es ums Vorspielen ging, aber wenn ich mit ihnen über andere Dinge plauderte, wurden sie gleich viel lockerer. Dabei erfuhr ich alle möglichen nützlichen Infos: wo die interessanten Clubs waren oder welche Bands sonst noch einen Gitarristen
suchten. Manchmal bekam ich auch einfach nur einen Tipp zu einem neuen Act, den man unbedingt gesehen haben musste. Wie gesagt, irgendetwas nahm ich immer mit.
Insgesamt gefiel den Leuten meine Art zu spielen schon sehr gut, und viele sagten, meine Stimme sei was für den Background. Aber es stellte sich bald heraus, dass zwei Faktoren gegen mich sprachen. Der erste war, dass ich kein Equipment besaß. Viele Bands suchten jemanden mit E-Gitarre, Verstärker, Boxen, möglichst einem Transporter, bereit, sich sofort in ihren Terminkalender einzufügen. Ich aber war zu Fuß unterwegs, und zwar mit einer ziemlich beschissenen Akustikgitarre. Auch wenn ihnen meine Rhythmik, meine Stimme noch so gut gefielen, mussten sie mir zwangsläufig absagen. Das war schon okay.
Viel schwerer zu akzeptieren war der andere Hinderungsgrund – und ich muss sagen, auf den war ich überhaupt nicht vorbereitet. Offensichtlich war es ein Problem, dass ich meine Songs selber schrieb. Nicht zu fassen. Da stand ich in irgendeiner fragwürdigen Wohnung herum, spielte vor einem Kreis ausdrucksloser Gesichter, und am Ende, nach einem Schweigen, das auch schon mal fünfzehn, dreißig Sekunden dauerte, fragte einer argwöhnisch: »Und von wem war das jetzt?« Und wenn ich sagte, von mir, dann gingen sofort die Rollläden herunter, man konnte es richtig sehen. Achselzucken, Kopfschütteln,
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