Bei Anbruch des Tages
Verhältnis, da sie in ihrem Verhalten unberechenbar war und es daher oft zum Streit kam. Dann flüchtete sich Guido zum GroÃvater, der viel mit ihm unternahm, ihn bei der Gartenpflege helfen lieÃ, mit ihm im Fluss angelte und Seifenkisten baute. AuÃerdem erzählte er ihm alte Geschichten aus dem Ort. Der GroÃvater kannte sämtliche Familien und wusste so manche Anekdote über sie zu berichten. Hin und wieder kam auch Onkel Gioacchino zu Besuch, der ihm Heiligenbildchen schenkte. Viel öfter kam Generoso Castelli ins Haus, den Guido Onkel nannte und der ihm tolle Geschenke mit brachte: ein Fahrrad, ein Jugendlexikon, ein Teleskop, um die Sterne zu betrachten. AnschlieÃend zog sich Generoso mit der GroÃmutter in den Salon zurück, und manchmal überraschte Guido sie bei lebhaften Diskussionen oder Streitgesprächen, die er nicht verstand.
Hin und wieder nahm ihn der GroÃvater auch mit ins Dorf, in die Seniorenresidenz Villa Olgiati, wo er mit den alten Herrschaften plauderte, die dort untergebracht waren.
Das Altersheim war neben dem Familienunternehmen zu Amilcares liebstem Zeitvertreib geworden. Er kümmerte sich aktiv darum und schaltete sich, wenn nötig, mit all seiner Autorität ein, zum Beispiel um durchzusetzen, dass ein bestimmter Arzt angestellt wurde. Er hörte dem Personal und den Patienten zu, diskutierte mit den Köchen, die das Essen zubereiteten, und lieà auch Guido davon kosten.
»Probier mal diese scaloppina und sag mir, ob sie schmeckt«, forderte er ihn auf oder: »Koste mal von diesem Nachtisch und von dem hier. Welcher schmeckt dir besser?«
Guido fühlte sich in solchen Momenten wichtig, auch wenn er wusste, dass sein GroÃvater das letzte Wort haben würde. Doch der nahm die Vorlieben seines Enkels durchaus ernst. Später rief Amilcare dann den Geschäftsführer zu sich ins Büro und diskutierte lange über die Kosten, über diverse unbefriedigende Leistungen und die Vorteile bestimmter Behandlungsmethoden.
Einmal nahm der GroÃvater Guido mit nach Rom.
Amilcare hatte einen Termin beim Gesundheitsministerium vereinbart. Als er dem Staatssekretär, der ihm aufmerksam zuhörte, sein Anliegen vorstellte, war Guido dabei.
Als sie gingen, sagte der GroÃvater: »Das ist ein Idiot. Der versteht rein gar nichts. Ich muss direkt mit dem Minister reden, wenn ich etwas erreichen will. Denn weiÃt du, Guido, die Villa Olgiati muss sich selbst finanzieren. Nur dann sind die alten Leute dort wirklich gut aufgehoben, und niemand kann sie fortschicken.«
Guido verstand nicht wirklich, worum es ging, doch alles klang sehr wichtig.
Seine Beziehung zu den Eltern seiner Mutter, den Grafen Olgiati Tremonti, war weniger eng. Der Conte war ein Genussmensch, der Geld nur als nötiges Ãbel betrachtete. Renzo sagte: »Mein Schwiegervater hat noch nie mit Geld umgehen können.« Der Principessa schien das egal zu sein, sie hielt sich eh von allen Alltagsgeschäften fern. Manchmal kündigte sie an, Mailand zu verlassen und zu ihrem Sohn nach Afrika ziehen zu wollen. Doch dazu fehlte ihr letztendlich der Mut.
Guido war das einzige Kind in einer Welt der Erwachsenen.
Celina wollte nicht, dass er in einen Kindergarten ging, aber später bestand Renzo darauf, dass der Kleine die öffentliche Schule besuchte. Von da an füllte sich die Villa regelmäÃig mit Kindern, da Celina keine Gelegenheit auslieÃ, sie mit SüÃigkeiten zu verwöhnen. Viele lernten im Pool der Villa schwimmen. Dann betrachtete Celina sie liebevoll und sagte seufzend: »Wie gern hätte ich meinem Sohn noch jede Menge Geschwister geschenkt!« Zu Guido sagte sie jedoch nur: »Wenn du eines Tages groà bist und heiratest, musst du viele Kinder bekommen, denn Kinder sind ein Geschenk.«
Von seinen Klassenkameraden aus der Grundschule mochte Guido Amaranta Casile am liebsten. Sie war die Tochter kalabresischer Einwanderer, die der Hunger nach Norden getrieben hatte. Alle nannten das Mädchen nur Mara, aber er liebte diesen süÃen, sperrigen Namen, der gut zu ihr passte, da Amaranta einen dunklen Teint und katzengrüne Augen hatte. Sie war extrem dünn und trug abgewetzte Kleider, aber sie war so stark wie die Jungen, mit denen sie sich wegen jeder Kleinigkeit raufte. Und sie weinte nie, weder wenn sie nach Rangeleien blaue Flecken davontrug, noch wenn die Lehrerin sie wegen eines Fehlers rügte. Sie
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