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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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Schließlich gehörte die Fabrik zu seinem Leben, da er schon als Kind an den Diskussionen und Überlegungen zwischen Vater und Großvater teilgenommen hatte.
    Nach dem Examen hatte er sich für ein Aufbaustudium an einer amerikanischen Universität eingeschrieben und ein Jahr in den Vereinigten Staaten verbracht. In dieser Zeit hatte er auch die eine oder andere Affäre. Er hatte sich in eine Journalistin von NBC verliebt und war zu ihr nach New York gezogen. Doch die Beziehung scheiterte, und Guido beschloss, zurück nach Italien zu gehen. Nach seiner Rückkehr hatte er dann in der Firma angefangen.
    Als der Firmenarzt ihm mitteilte, dass einige Arbeiterinnen psychische Probleme hätten, Ängste, die von der Doppelbelastung durch Arbeit und Familie herrührten, sprach Guido mit seinem Vater darüber und schlug ihm vor, einen Sozialarbeiter einzustellen. Sein Vorschlag wurde sofort angenommen und in die Tat umgesetzt.
    Besonders engagiert war Guido bei der Einführung einer Firmenzeitung, für die die Angestellten schreiben konnten, um darin ihre Ansichten über die Arbeit, die Firma und die Konkurrenz kundzutun. Die war ihm so wichtig, dass Cavalier Cantoni eines Abends zu seiner Frau sagte: »Guido führt jede Menge Neuerungen ein, um die Firma zu entstauben. Aber eines Tages wird er sie wohl oder übel leiten müssen – hoffentlich mit genauso viel Engage ment, wie er jetzt für diese Zeitung aufbringt.«
    Es war Juli, und Guido hatte mehrere Wochen mit einem befreundeten Journalisten an der Nullnummer gearbeitet.
    Bevor er sie in Druck gab, hatte er den Tag damit verbracht, die Texte noch einmal sorgfältig durchzulesen, wobei ihn der Journalist unterstützte, der am Nachmittag in die Fabrik gekommen war. Am späten Abend, als Arbeiter und Angestellte längst gegangen waren und zwei Wachleute Dienst taten, verabschiedeten sich Guido und der Journalist, und jeder stieg in seinen Wagen auf dem Vorplatz. Guido ließ den Motor an, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr los, als jemand einen lauten Schrei ausstieß. Er bremste sofort, stieg aus und entdeckte eine Frau, die mit dem Fahrrad gestürzt war. Einer der Wachmänner kam hinzu und ergriff sofort Partei für den Chef: »Diese Verrückte hatte ein Wahnsinnstempo drauf, Sie hätten sie gar nicht sehen können, Dottore!«
    Doch Guido hörte ihm gar nicht zu und beugte sich besorgt über die Frau.
    Er erkannte sie sofort wieder: Es war Amaranta Casile.
    Â»Wo tut es weh?«, fragte er betroffen, während er ihr aufhalf.
    Â»An der Hüfte«, sagte sie, als sie aufgestanden war. Er stützte sie, und ihr langes Haar fiel ihr auf die zierlichen Schultern.
    Â»Das ist ja noch mal gut gegangen«, sagte der Wachmann und trat neben sie.
    Â»Bei mir vielleicht schon, aber mein Fahrrad …«, protestierte sie.
    Der Wachmann hob das Rad auf, bog den Lenker gerade und brummte: »Diese Dame verlässt die Firma immer als Letzte und saust dann los, ohne richtig zu gucken.«
    Â»Entschuldige, Amaranta«, flüsterte Guido.
    Â»Wofür denn, Dottore? Sie trifft keine Schuld«, erwiderte sie und sah ihn eindringlich an, während sie ihr Rad wieder an sich nahm.
    Â»Siezt du mich?«
    Â»Ich erlaube mir meinen Chefs gegenüber keine Vertraulichkeiten«, erwiderte sie kess.
    Â»Aber wir kennen uns doch seit unserer Kindheit …«, sagte er verlegen.
    Die junge Frau antwortete nicht. Sie setzte sich auf den Sattel, trat in die Pedale und sauste davon.
    Â»Alles in Ordnung, Dottore«, beruhigte ihn der Wachmann.
    Â»Wo arbeitet die junge Frau bei uns?«, fragte Guido.
    Â»Im Lager«, informierte ihn der Wachmann.
    Als Guido ins Auto stieg, merkte er, dass seine Hände zitterten.

3
    A m nächsten Morgen ging Guido ins Büro und bat um diePersonalakten der Lagerarbeiter. Darunter befand sich auch die der vierundzwanzigjährigen Amaranta Casile. Schulabschluss: Hauptschule. Berufserfahrung: ein Job als Barfrau. Persönliche Anmerkungen des Firmenarztes: häufiges Fieber, wahrscheinlich psychisch bedingt, ein schwieriger Charakter, aber eine fleißige Mitarbeiterin.
    Wenige Worte über einen Menschen, der offensichtlich gewissenhaft seiner Arbeit nachging. Als Guido Amaranta erkannt hatte, hatte er sich gleich an seine Gefühle erinnert, die er zu Schulzeiten für sie empfunden hatte. Er musste an seine kindliche Verliebtheit

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