Bei Anbruch des Tages
mög lich, dass sie vergessen hat, ihre Tabletten zu nehmen«, erklär te er.
»Aber das ist ja furchtbar«, murmelte die junge Frau.
»Wir haben gelernt, damit zu leben«, erwiderte Guido.
Am nächsten Morgen unterhielt sich die in eine blaue Seidentunika und eine Givenchy-Parfümwolke gehüllte GroÃmutter, als wäre nichts gewesen, während Amilcare und Generoso über etwas lachten, das sie soeben erzählt hatte. Bona saà bei ihnen am Tisch, und während Guido an seinem Kaffee nippte und Aprikosenkuchen aÃ, musterte sie verblüfft Biancas strahlendes Gesicht. Das Boot nahm Kurs auf Athen, wo die jungen Leute von Bord gehen und nach Italien zurückkehren würden.
Guido fiel auf, wie still Bona war, und fragte: »Alles in Ordnung?«
»Ich habe sehr schlecht geschlafen und bin müde«, erwiderte die junge Frau.
Sie hatte die ganze Nacht versucht, sich einzureden, dass die psychische Krankheit ihre Gefühle für Guido nicht beeinflusste. Aber es war ihr nicht gelungen. Sie wusste, dass ein solches Leiden erblich sein konnte, sich auf die Kinder oder die Enkelkinder übertrug. Sollte sie sich trotzdem an Guido binden?
Als sie nach Mailand zurückgekehrt waren, wiederholte Bona ihre Einladung nach Cap Ferrat nicht. Und Guido, der den Grund dafür ahnte, verzichtete darauf, nachzufragen.
Der Urlaub in Griechenland war für ihn eine Art Probezeit gewesen. Guido hatte sich mit Bona wohlgefühlt, trotzdem hatte es keinen Tag gegeben, an dem er nicht an Amaranta gedacht hatte. In gewisser Weise war er besessen von ihr.
Er kehrte in die Familienvilla zurück, in der zu der Zeit nur das alte Hausmeisterehepaar mit seinem kleinen Enkel weilte.
Der Kleine sah den »Dottore« neugierig an und folgte ihm auf Schritt und Tritt, so als wäre Guido ein faszinierender AuÃerirdischer. Der freute sich über die Gesellschaft, und als er in die Fabrik fuhr, lieà er den Jungen zu sich in den Wagen steigen und nahm ihn mit. Noch herrschten Betriebsferien, aber der Wachmann war da, und Guido plauderte mit ihm, während er den Kleinen an der Hand hielt.
Er nahm ihn mit in sein Büro, wo er die Faxe las, die in seiner Abwesenheit eingetroffen waren, und öffnete die Briefe, wobei er dem Jungen erlaubte, mit Kabelschellen und Stempeln zu spielen. Guido machte sich ein paar Notizen über Dinge, die er mit seinem Vater beim nächsten Telefonat nach Griechenland besprechen wollte. Es ging um einige unausgeführte Bestellungen. Dann verlieà er mit dem Jungen das Bürogebäude und bat den Wachmann, das Lager für ihn aufzuschlieÃen.
Er wollte sehen, wo Amaranta arbeitete. Dabei lieà der kleine Junge seine Hand nicht los.
Links von dem riesigen Labyrinth aus meterhohen Regalen gab es eine groÃe Glasscheibe, die den Lagerraum von den Büros trennte.
Der Wachmann öffnete ihm auch die Tür zum Bürobereich, woraufhin sie in einen groÃen Raum mit fünf Schreibtischen traten. Guido sah sofort, welcher Amaranta gehörte. Er war mit einigen Porzellantieren und einer winzigen Vase mit Plastikblumen geschmückt.
Guido trat näher und lieà das Kind auf dem Bürostuhl Platz nehmen.
»Erzähl mir, was du siehst!«, sagte Guido.
»Zwei Enten, einen Pinguin, ein Glas mit Stiften, die Madonna mit einer bunten Kette â¦Â« Guido unterbrach ihn und fragte: »Wer, glaubst du wohl, sitzt hier an diesem Schreibtisch?«
»Ich!«, erwiderte das Kind schlagfertig.
Guido lachte amüsiert. Die »Kette«, die die kleine Madonnenstatue schmückte, war ein Armband aus Glasperlen, das Guido Amaranta geschenkt hatte, als sie noch zur Schule gingen. Er hatte es sofort wiedererkannt.
Er lieà das Kind vom Bürostuhl klettern. Mit einer kaum wahrnehmbaren Geste streifte er das Armband ab und steckte es ein.
Am nächsten Morgen brach er mit seinem amerikanischen Freund nach Irland auf.
5
N ach den Ferien kehrte Guido wieder an seinen Arbeitsplatz in der Firma zurück. Jeden Tag hoffte er, Amaranta zu sehen.
Eines Abends beobachtete er vom Fenster seines Büros aus, wie sie mit dem Rad davonfuhr. Da ging er, noch bevor der Wachmann abschloss, ins Lager und streifte der Madonnenstatue ein Armband aus goldenen Herzen über, das er vor dem Rückflug in Dublin gekauft hatte.
Er wusste genau, dass er sich benahm wie ein verliebter Teenager, doch Amaranta Casile ging ihm einfach nicht
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