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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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Verlegenheitslösung war, eine Nebenfigur. Dabei konnte sie Guido nichts vorwerfen, denn er war ein perfekter Ehemann. Doch vorsichtshalber hielt sie ihre Neugier im Zaum und schwieg zu dem Thema.
    Sie wollte lieber nicht wissen, ob er die Nonne insgeheim noch liebte. Und schließlich war auch ihr Herz von einem anderen besetzt. Die Cantonis waren weise, sie hüteten ihre Geheimnisse und ließen nicht zu, dass sie ihr Leben ruinierten. Und sie war eine optimistische Frau und konnte sich glücklich schätzen. Sie hatte gerade ihr zweites Kind zur Welt gebracht, was das Band zwischen ihr und dieser großzügigen Familie weiter verstärken würde.
    An der Hand, die Guido geküsst hatte, funkelte jetzt ein Ring mit einem blauen Diamanten.
    Â»Du bist ja verrückt!«, rief sie und bewunderte den wunderschönen, kostbaren Stein.
    Â»Warte nur, was ich dir zur Geburt unseres dritten Kindes schenken werde!«, sagte Guido lachend.
    Â»Ich dachte, zwei reichen«, protestierte sie, wenn auch wenig überzeugend.
    Â»Hättest du nicht noch gern eine schöne, selbstbewusste Tochter?«
    Â»Ich denke darüber nach«, erwiderte sie, dabei hielt sie die er füllten Schwangerschaftsmonate und die Freude, ein weiteres Kind zur Welt zu bringen und zu stillen, für ein Glück, das sie nicht oft genug wiederholen konnte.

2
    I m großen Flur im ersten Stock der Villa, der vom Licht, das durch die großen Fenster zum Park hereinfiel, geradezu durchflutet wurde, setzte sich Léonie auf ein kleines Sofa und stillte Gioacchino. Währenddessen fuhr Giuseppe auf seinem Fahrrad mit Stützrädern auf und ab.
    Â»Schau nur, Mama, wie schnell ich bin«, jubelte ihr Erstgeborener, der keine Gelegenheit ausließ, die Aufmerksamkeit von seinem kleinen Bruder ab und auf sich zu lenken.
    Â»Du wirst noch Weltmeister!«, lobte sie.
    Â»Aber mein kleiner Bruder nicht, stimmt’s, Mama?«
    Â»Er nicht, er ist kein Weltmeister. Aber wenn er mal so groß ist wie du, wirst du großzügig sein und ihm das Radfahren beibringen.«
    Das Kind stieg ab, ließ das Rad liegen und trippelte zu Léonie herüber. Es stützte die Ellbogen auf den Oberschenkel seiner Mutter und das Kinn in die Hände. So sah es eine Weile zu, wie das Neugeborene trank. Dann sagte es: »Warum bekommt nur er deine Milch?«
    Â»Als du so klein warst wie Gioacchino, habe ich dir auch Milch gegeben.«
    Â»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
    Â»Wenn er so groß ist wie du, wird er sich auch nicht mehr daran erinnern können.«
    Â»Und warum gibst du mir jetzt keine mehr?«
    Â»Weil du inzwischen mit uns am Tisch isst.«
    Â»Ich möchte auch mal nuckeln!«
    Â»Bitte sehr!«, sagte Léonie lächelnd.
    Giuseppe enthüllte die andere Mutterbrust und saugte daran.
    Angewidert fuhr er zurück.
    Â»Das ist ja eklig!«, rief er.
    Â»Jetzt weißt du, warum ich dir keine Milch mehr gebe!«, sagte Léonie lachend.
    Giuseppe fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und wiederholte: »Eklig, eklig!«
    Da trat Celina aus dem Aufzug und ging schwerfällig auf sie zu. Sie beugte sich zu ihrer Schwiegertochter herab und flüsterte ihr etwas zu.
    Â»Ich will ein Bonbon!«, beschwerte sich Giuseppe.
    Celina nahm ihn an der Hand und sagte: »Komm, du darfst dir eines in der Farbe aussuchen, die dir gefällt.«
    Â»Ich will ein rotes!«, rief das Kind, während Léonie den Säugling hastig dem Kindermädchen übergab. Dann ging sie in den Ostflügel der Villa hinüber, in dem der Wohnbereich von Amilcare Cantoni lag. Sie hatte den Großvater schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen – seit dem Abend, an dem sie ihr Kind zur Welt gebracht und er ihr die Geschichte von Guido und Amaranta erzählt hatte.
    Die Tür zum Zimmer des Patriarchen war angelehnt.
    Sie trat ein und erwartete, ihn im Bett vorzufinden. Stattdessen saß er mit ihrem Mann, ihrem Schwiegervater und dem Arzt am ovalen Tisch am Fußende des Bettes. Die vier Männer hatten Spiel karten in der Hand und schwiegen konzentriert.
    Léonie wusste, dass Amilcare ein ausgezeichneter Kartenspie ler war und zeit seines Lebens in die alte Osteria am Kirchplatz ge gangen war, wo er ein gefragter Gegner war. Mit seiner Leiden schaft für das Kartenspiel hatte er inzwischen auch seine Frau, seinen Sohn Renzo, seinen Enkel Guido und kürzlich auch sie

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