Bei Anbruch des Tages
angesteckt.
Léonie ging auf die vier Männer zu, beugte sich zu ihrem Mann hinunter und flüsterte: »Wie gehtâs?«
»GroÃvater hat auf dich gewartet«, erwiderte Guido. »Er hat Mama gebeten, dich zu holen.«
Amilcare, der tief im Sessel saà und von einigen Kissen gestützt wurde, lächelte ihr zu und sagte kaum hörbar: »Jetzt, da Léonie hier ist, soll sie mich ersetzen.«
Also zog Léonie einen Hocker heran, setzte sich und nahm die Karten, die Amilcare ihr mit den Worten reichte: »Wir sind in der letzten Runde.«
Dann flüsterte er ihr ins Ohr: »Dieser unfähige Dottore hat einen Settebello auf der Hand, dein Mann den Re di denari, und du nimmst jetzt die Sieben mit deiner Fiori-Sieben, während mein Sohn sich den König mit â¦Â« Er verstummte und neigte den Kopf.
Alle erhoben sich, während der Arzt zum Stethoskop griff. Er legte es auf Amilcares Brust und schüttelte den Kopf.
»Es ist vorbei«, flüsterte er erschüttert.
3
A milcare hatte schon länger gespürt, dass es mit ihm zu Endeging. Manchmal hatte er Angst davor, aber meist sah er dem Tod gelassen entgegen. Das Alter und seine Begleiterscheinungen beleidigten seinen Schönheitssinn. Er musste oft an seine Mutter, eine einfache, aber intelligente Bäuerin, denken, die bei ihrem Tod geflüstert hatte: »Ãlter als alt kann man nicht werden.« Damit hatte sie die unvermeidliche Tatsache in Worte gefasst, der sich niemand entziehen konnte.
Der Patriarch dachte oft an diejenigen, die ihn auf seinem Lebensweg begleitet hatten und bereits nicht mehr lebten.
Er glaubte nicht an das Jenseits, seiner Meinung nach waren Hölle und Himmel auf das irdische Leben beschränkt.
Er hatte in seinem Leben zahlreiche Höllenqualen erlitten, aber auch viele paradiesische Freuden genossen.
Trotzdem hoffte er, dass Tod mehr war als nur das Ende des Lebens, das er immer geliebt hatte â in seligen Augenblicken genauso wie in schmerzlichen.
Seit Langem suchte er bei den von ihm so geliebten Philosophen und Autoren nach einer Erklärung. Vergiss nicht, dass du sterblich bist, sagen die Trappistenmönche. Und er stellte sich vor, wie sie das zufrieden, ja, selig wiederholten: eine Warnung, die nichts erklärte und den Niedrigsten genauso betraf wie den Mächtigsten, den Guten wie den Bösen. Wie sagte Benjamin Costant so schön? Der Tod ist ein unerklärliches Rätsel. Und Petrarca hatte geschrieben: Ein schönes Sterben ehrt das ganze Leben . Und Svevo be schrieb den Tod als groÃe Missetat . Begangen von wem?, fragte sich Amilcare. Von Gott? Nein, Gott gibt es nicht. Vom Leben?
Vielleicht. Das Leben war wie eine schöne, auf den ersten Blick groÃzügige Frau, die im Grunde jedoch eine Sadistin ist: Erst schenkt sie dir alles, und anschlieÃend gefällt sie sich darin, dir wieder alles zu nehmen.
Amilcare stand am Ende seines Lebens, und zusammen mit ihm würde auch das zärtliche, verträumte Kind sterben, das er einmal gewesen war. Der junge Mann, der sich in eine reiche, ruhelose junge Frau verliebt und Unerträgliches von einer schwierigen Ehefrau erduldet hatte. Der Vater, der von der Angst gequält worden war, Biancas Wahnsinn könnte sich an die Kinder weitervererbt haben. Der Patriarch, dem das Schicksal hold gewesen war, weil es dafür gesorgt hatte, dass sein Enkel, in dem kein einziger Tropfen von Bianca Crippas verrücktem Blut floss, den Namen Cantoni fortführte.
Er hatte gelitten, als er mit ansehen musste, wie Guido ganz krank vor Liebe zu Amaranta gewesen war. Aber er wusste, dass seine Frau, diese kleine Französin, ihn heilen würde. Er hatte zwei Urenkel, weitere würden folgen, und das Geschlecht der Cantoni würde weiterbestehen, wenn auch ohne einen einzigen Tropfen seines Blutes. Aber es war nicht das Blut, das zählte, sondern die Familie, und dies war seine Familie.
Er spürte, dass sein Leben gelungen war. Er hatte viele Gewissensbisse, aber er bereute nichts.
Der Tod, die groÃe Missetat , hing über ihm wie ein Damoklesschwert. Deshalb hatte er das Bedürfnis gehabt, Léonie von Guido zu erzählen, denn er wusste, dass sein Enkel selbst schweigen würde. Und er war fest davon überzeugt, dass Geheimnisse einer harmonischen Beziehung schadeten.
Am Tag seines Todes hatte Amilcare sich unwohl gefühlt. Der Arzt der Familie, der sofort herbeigerufen
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