Bei Anbruch des Tages
Landschlössern eingeladen. Der Reichtum schien zum Greifen nah. Alles, was sie dafür tun musste, war, sich den Hausherren gegenüber entgegenkommend zu zeigen.
Als sie merkte, dass sie ein Kind erwartete, waren die Männer, mit denen sie zusammen gewesen war, plötzlich verschwunden. Und sie wusste nicht, wer der Vater des Kindes war. Ein Jahr nach der Wahl zur Miss Provence hatte sie Léonie zur Welt gebracht. Sie hatte Arles verlassen und in Salon-en-Provence neu angefangen, wo niemand sie kannte. Sie hatte Schmuck verkauft und damit die Miete für eine Wohnung in einem uralten Haus bezahlt, in dem zwei reizende alte Frauen wohnten: Ninette und Thérèse. Die beiden hatten ihr geholfen, Arbeit bei Jules et Lorette zu finden, und passten oft auf ihre Kleine auf.
»Léonie, ich schwöre dir, dass ich nicht weiÃ, wer dein Vater ist. Und das ist auch besser so, denn es ist in jedem Fall ein Mistkerl!«
Ihre Tochter glaubte ihr.
»Aber eines Tages werde ich es schaffen, einen Vater für dich zu finden. Der Mann, den du heute gesehen hast, ist ein Hotelier aus Toulon. Er sieht gut aus und hat viel Geld. Mach mir das Leben nicht schwerer, als es ohnehin schon ist, und gib mir ein wenig Zeit, ihn zu verwöhnen.«
Léonie schwieg. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte sie verstanden, dass es hier nur um Luftschlösser ging.
3
N inette kehrte nicht mehr aus ihrem Urlaub in Aix zurück. Ein plötzlicher Herzinfarkt hatte sie wenige Stunden vor ihrer Ankunft im Haus ihres Sohnes aus dem Leben gerissen.
Thérèse war untröstlich.
»Es ist, als fehlte mir ein Arm!«, sagte sie zu Léonie.
Die beiden alten Damen waren von klein auf befreundet gewesen. Sie waren zusammen zur Schule gegangen, hatten zusammen auf dem Land gearbeitet. Ninette hatte geheiratet, war aber schon nach fünf Jahren Ehe mit zwei Kindern Witwe geworden. Ein Sohn war nach Australien ausgewandert, der andere, Pierre, hatte eine Stelle in einer Pariser Autowerkstatt gefunden. Dort hatte er die hässliche, eingebildete Tochter seines Chefs kennengelernt.
Pierre hatte zu seiner Mutter gesagt: »Wenn ich sie heirate, werde ich zu Hause nicht viel zu sagen haben. Aber sie ist eine zuverlässige Ehefrau.«
»Und die Liebe? Was ist mit der Liebe?«, hatte Ninette gefragt.
»Die Liebe kommt und geht, aber das Geld bleibt, wenn man damit umzugehen weiÃ.«
Ninette hatte nie auch nur einen Cent von ihrem Sohn genommen. Genau wie Thérèse lebte sie von ihrer Rente und verdiente sich im Sommer noch etwas dazu, indem sie Lavendel verkaufte.
Die beiden Freundinnen hatten sich ein Leben lang gegenseitig Gesellschaft geleistet, und jetzt, da Ninette nicht mehr lebte, rechnete auch Thérèse bald mit dem Tod.
»WeiÃt du, Ninette hat mir ihren gesamten Besitz hinterlassen«, vertraute sie Léonie an, während sie in die Wohnung im ersten Stock gingen, in der die Freundin gelebt hatte.
Deren Sohn Pierre hatte angerufen, um ihr zu sagen, dass er Ende des Monats die Wohnung räumen und dem Vermieter die Schlüssel zurückgeben würde.
»Ninette hatte handbestickte Leinenwäsche und auch sehr schöne Tischdecken. Sie hatte eine Schwäche für Wäsche. Jetzt gehört sie mir, aber ich schenke sie dir. Ich nehme nur die Tässchen aus Limoges und die Kaninchenstola, die mir im Winter zupasskommen wird. Aber wenn du etwas siehst, das dir gefällt, kannst du es haben. Alles hier gehört mir, weil sie es so verfügt hat. Das hat mir ihr Sohn gesagt«, erklärte Thérèse, während sie die Haustür der Freundin aufschloss.
Léonie hatte ein wenig Angst, die winzige Wohnung zu betreten, obwohl sie sie in- und auswendig kannte. Doch jetzt, da Ninette nicht mehr lebte ⦠Der Tod hatte für sie einen geheimnisvollen Schrecken.
»Die Wäsche einer Toten will ich nicht!«, sagte sie und blieb an der Tür stehen.
Thérèse drängte sie nicht.
»Dann geh runter zu mir und warte dort auf mich!«
Als die alte Frau zurück in ihre Wohnung kam, ging bereits die Sonne unter. Sie fand einen gedeckten Tisch vor und eine Zwiebelsuppe auf dem Herd.
»Hast du das ganz allein gemacht, ma petite? «, fragte Thérèse.
»WeiÃt du, auch jetzt, da Ninette nicht mehr da ist, wirst du nicht einsam sein. Ich habe nämlich beschlossen, zu dir zu ziehen«, verkündete das Kind.
»Aber du bist doch eh die
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