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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sveva Casati Modignani
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genug Geld da sein, um dich zu ernähren.« Dann fügte sie hinzu: »Das, was ich in meinem Beruf verdiene, reicht nicht, um die Miete, die Rechnungen, das Essen, unsere Kleider und die Krankenhausrechnungen für die Oma zu bezahlen.«
    Léonie antwortete nicht. Sie konzentrierte sich auf das Spiel von Licht und Schatten, das die Platanenzweige auf das Gesicht ihrer Mutter warfen.
    Â»Du bist jetzt groß genug, um die Wahrheit zu kennen: Deine Großmutter ist in einem Waisenhaus in Lyon aufgewachsen, mit achtzehn kam sie dann als Dienstmädchen zu wohlhabenden Leuten. Der Hausherr hat sie erst geschwängert und dann vor die Tür gesetzt. Aus Scham ist sie aus Lyon weggegangen und nach Arles gezogen. Sie hat als Bäuerin gearbeitet und Veilchen, Lavendel und Oliven geerntet, bis ich zur Welt kam. Sie hat sehr darunter gelitten, dass sie ihre Eltern nie kennengelernt hat, und wollte, dass ich wenigstens eine Mutter habe. Sie hat mich behalten und gearbeitet bis zum Umfallen. Dann hat sie angefangen zu trinken. Aber da war ich schon groß genug, um auf mich selbst aufzupassen.
    Ich habe bald verstanden, dass Schönheit eine Ware ist, mit der man Geld verdienen kann. Und ich war schön. Als ich zur Miss Provence gewählt wurde, dachte ich: ›Jetzt steht mir die Welt offen!‹ Ich hatte Geld, Kleider, Schmuck. Die Männer machten mir den Hof und überschütteten mich mit Geschenken, um mich ins Bett zu kriegen. Ich sah mich schon auf dem Laufsteg, als Model für Dior oder Chanel. Ich sah mich als Filmschauspielerin wie die Bardot oder die Deneuve. Doch alle meine Träume sind zerplatzt wie Seifenblasen, als ich schwanger wurde. Den Rest kennst du. Ich liebe dich, aber auf meine Art: Ich gebe dir ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Mehr darfst du von mir nicht erwarten. Hasst du mich deshalb? Ich wünsche mir so sehr ein besseres Leben, warte immer noch auf die große Liebe. Und du schaust mich mit deinen eiskalten Augen an und verurteilst mich! Du wirfst mir vor, dass deine Freundinnen jetzt gerade irgendwo am Meer sind, nur du nicht.
    Aber die haben auch einen Vater, vielleicht ein Ferienhaus und mit Sicherheit Geld für ein Hotel. Und du musst mit mir vorliebnehmen. Auch ich wäre jetzt gern am Meer, mit einem jungen, reichen, schönen Mann, anstatt zu arbeiten. Niemand weiß, ob unsere Wünsche eines Tages in Erfüllung gehen. Im Moment kannst du dich nur mit diesen Süßigkeiten trösten, die du auf Kredit kaufst. Und am Sonntag muss ich nach Arles zu meiner Mutter, mit der ich nicht mal mehr reden kann, um die Krankenhauskosten zu bezahlen.
    Damit das Geld bis zum Monatsende reicht, muss ich den einen oder anderen großzügigen Verehrer finden. Also hör auf, mich zu verurteilen. Nimm, was ich dir geben kann, aber erwarte nicht mehr. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
    Léonie hatte nicht wirklich verstanden, was Nadine gesagt hatte, aber eines war ihr nun endgültig klar geworden: Ihre Mutter versuchte, ihr Leben zu leben, und sie war dabei nur ein Störfaktor.
    Â»Wer ist mein Vater?«, flüsterte sie. Es war das erste Mal, dass sie ihrer Mutter diese Frage stellte.
    Â»Wer weiß?«
    Â»Weißt du es wirklich nicht, oder willst du es mir nur nicht sagen?«
    Nadine dachte daran, wie sie als Siebzehnjährige ihren Ausweis gefälscht hatte, um an dem Schönheitswettbewerb teilnehmen zu können. Sie hatte behauptet, sie sei volljährig. Damals arbeitete sie in einer Firma, die Blumen exportierte.
    Ãœber Jahre hatte sie jeden Abend zu Hause eine völlig betrunkene Mutter vorgefunden. Doch eines Tages, als Nadine von der Arbeit zurückkehrte, hatte ihre Mutter leblos am Boden gelegen. Nadine hatte gedacht, sie sei tot, aber sie lag nur im Koma. Im Krankenhaus hatte man dann Alzheimer bei ihr diagnostiziert. Der Alkohol hatte nichts damit zu tun.
    Nadine hatte sich entscheiden müssen, ob sie sie zu Hause pflegen oder versuchen sollte, das Geld für den Aufenthalt in einem Sanatorium aufzubringen. Letzteres war das Realistischere, doch es kostete sie den Großteil ihres Lohns. Sie brauchte Geld, und würde sie den Schönheitswettbewerb gewinnen, brächte ihr das eine hübsche Summe ein. Sie gewann den Titel und konnte der Klinik das Geld für ein ganzes Jahr auf einmal überweisen. Sie wurde zu Abendessen, Mittagessen, wichtigen Partys in Villen am Meer und in

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