Bei Einbruch der Nacht
fortwährende Anarchie, die sich aus Träumen und Instinkten zusammensetzte und auf unerklärlichem Wege zu nicht zu leugnenden Erfolgen führte. Der Versuch jedoch, Adamsbergs Gedankengängen zu folgen, überstieg seine nervlichen Kräfte. Denn diese Gedanken waren nicht nur verschwommener Natur, irgendwo zwischen gasförmigem, flüssigem und festem Zustand, sie ballten sich auch noch unaufhörlich mit anderen Gedanken zusammen, ohne daß dieser Vorgang durch irgendein Band der Ratio zusammengehalten würde. Und während Danglard mit scharfem Verstand methodisch Lösungen sichtete, ordnete und systematisch aufgliederte, vermengte Adamsberg die Untersuchungsebenen, drehte die Etappen der einzelnen Schritte um, sprengte jegliche Kohärenz, spielte mit dem Wind. Und am Ende entlockte seine ungeheure Langsamkeit dem Chaos eine Wahrheit. Danglard vermutete daher, daß der Kommissar - so wie man es Unglücklichen oder großen Geistern nachsagt - eine »eigene Logik« besaß. Hin und her gerissen zwischen Bewunderung und Verärgerung, versuchte er seit Jahren, sich damit abzufinden.
Denn Danglard war ein zerrissener Mann. Wohingegen Adamsberg in einem Stück gegossen war - wenn auch sicherlich etwas eilig - und aus einem einzigen und sich ständig wandelnden Material bestand, das dem Realen nur vorübergehend Zugriff bot. Merkwürdigerweise konnte man gut mit ihm auskommen. Abgesehen von denen natürlich, die ihn zu fassen kriegen wollten. Davon gab es einige. Es gibt immer Leute, die einen zu fassen kriegen wollen.
Mit den Fingern maß der Kommissar die Entfernung zwischen Guillos und La Castille und übertrug sie dann von La Castille aus auf die Umgebung, um den Ort zu finden, wo der blutgierige Wolf, der auf der Suche nach neuen Jagdgründen umherirrte, als nächstes zuschlagen würde. Danglard sah ihm dabei ein paar Minuten zu. Inmitten seiner luftigen und bisweilen visionären Gedankenwelt war Adamsberg doch zu einer irritierend strengen Vorgehensweise in der Lage.
Danglard startete einen Versuch:
»Stimmt irgendwas mit diesen Wölfen nicht?«
»Mit diesem Wolf«, verbesserte Adamsberg. »Er ist ganz allein, aber er zählt für zehn. Ein Menschenfresser, der sich nicht einfangen läßt.«
»Geht uns das was an? Auch nur entfernt?«
»Nein, Danglard. Wieso sollte uns das etwas angehen?«
Danglard erhob sich und sah prüfend über Adamsbergs Schulter auf die Karte.
»Und doch«, fügte Adamsberg halblaut hinzu, »sollte sich irgendwann mal jemand darum kümmern.«
»Das Mädchen«, unterbrach ihn Danglard, »Sabrina Monge, hat den Ausgang durch die Keller gefunden. Wir sind geliefert.«
»Ich weiß.«
»Wir müssen sie stoppen, bevor sie Sie abknallt.«
»Man kann sie nicht festnehmen. Sie muß mir eine Kugel verpassen und mich verfehlen, damit wir sie schnappen können. Danach können wir arbeiten. Neuigkeiten von dem Kleinen?«
»Eine Spur in Polen. Das kann noch lange dauern. Sie treibt uns in die Enge.«
»Nein. Ich werd verschwinden, Danglard. Das wird uns Zeit geben, den Jungen zu finden, ohne daß sie mir eine hübsche kleine Kugel in den Wanst schießt.«
»Wohin verschwinden?«
»Das werden wir bald wissen. Sagen Sie mir, wo der Auftraggeber von dem Mord in der Rue Gay-Lussac haust, wenn es wirklich so ist, wie wir glauben?«
»In Avignon.«
»Also fahre ich dort hin. Ich fahre nach Avignon. Niemand darf davon erfahren, außer Ihnen. Die von oben haben grünes Licht gegeben. Ich muß ungestört operieren können, ohne Sabrina auf den Fersen zu haben.«
»Verstanden«, antwortete Danglard.
»Vorsicht, Danglard. Wenn sie entdeckt, daß ich verschwunden bin, wird sie ihre Fallen aufstellen. Und sie ist ein begabtes Mädchen. Kein Wort zu irgendwem, selbst wenn meine eigene Mutter Sie anruft und jammert. Meine Mutter jammert übrigens nie, genausowenig wie irgendeine meiner fünf Schwestern. Nur Sie bekommen meine Nummer, Danglard.«
»Soll ich während Ihrer Abwesenheit mit der Karte weitermachen?« fragte Danglard und zeigte mit der Hand zum Schreibtisch.
»Aber nein, mein Lieber. Der Wolf ist mir völlig schnurz.«
13
Bei der Gendarmerie in Puygiron verlangte Lawrence nach dem obersten Vorgesetzten der Brigade. Der diensthabende Beamte am Empfang reagierte unwillig.
»Was ist Ihr Vorgesetzter für einer?« fragte Lawrence.
»Ein Typ, der Sie schnellstens zum Teufel schickt, wenn Sie Ärger machen.«
»Nein, ich frage nach seinem Dienstgrad. Sein Titel? Wie heißt so einer?«
»So
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